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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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mich raten. Die alte Karre ist zusammengebrochen … Jetzt muss sie verschrottet werden.«
    »Nein!« Rosa schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Sie läuft und läuft … Aber weil ich viel lieber mit der Tram fahre, habe ich sie ausgeliehen. Meinem Halbbruder Antonio.«
    »Aber das macht doch nichts, Frau Mazzoleni.«
    »Und der Antonio … Also der ist damit nach Italien gefahren. Mit der ganzen Familie. Er kommt erst in zwei Wochen zurück.«
    »Nun ja«, Eschenbach zog die Schultern hoch. »Gestohlen wird sie dort bestimmt nicht. Bleibt nur zu hoffen, dass sie nicht stehen bleibt.«
    »Soll ich Ihnen Ersatz beschaffen?«
    »Ach was! Es sind ja keine Distanzen hier.«
    »Ich konnte ja nicht wissen, dass Sie früher aus Ihren Ferien zurückkommen.«
    Der Kommissar legte seinen Arm um Rosas Schulter und ­versicherte ihr noch einmal, dass die Sache mit dem Auto überhaupt kein Problem sei. Gemeinsam verließen sie das Präsidium.
    Auf dem kurzen Weg entlang der Kasernenstrasse erzählte Eschenbach von seinem Termin am Nachmittag mit Regierungsrätin Sacher. »Da werden wir sehen, wie es weitergeht.«
    »Es geht nicht weiter«, sagte Rosa und blieb mitten auf dem Trottoir stehen. »Ich habe gekündigt, Kommissario.« Sie schob das Kinn vor und ließ keinen Zweifel daran, dass ihr Entschluss feststand. »Ich muss mich doch nicht auf eine Stelle bewerben, die ich seit einer Ewigkeit habe, oder?«
    »Sie müssen sich doch nicht bewerben.«
    »Doch! Alle müssen das, sagen die. Auch Sie, Kommissario!«
    »Das ist doch nur pro forma. Eine alte Schnapsidee der Beraterindustrie – wird heiß gekocht und lauwarm gegessen.«
    Sie gingen weiter und fanden im Clipper einen freien Ecktisch. Der Kommissar bestellte zwei doppelte Espressi und eine Karaffe Leitungswasser. »Wo ist diese Sitzung, die Hösli einberufen hat?«
    »Am Bahnhofquai, bei den Kollegen …« Rosa schnäuzte in eine Papierserviette, die sie sich zuvor an der Theke geholt hatte. »Ich habe schon gedacht, dass sie meine SMS nicht gelesen haben. Drum bin ich ja gekommen …« Als die Bedienung die Espressi brachte, trank Rosa ihren in einem Schluck. Dann sagte sie: »Haben Sie Herrn Banz noch getroffen, bevor Sie zurückgeflogen sind?«
    Die Frage kam aus heiterem Himmel.
    »Jakob Banz? Ähm … ja, natürlich. Am Abend vor meinem Rückflug. Weshalb fragen Sie?«
    Rosa zögerte. »Hat er Ihnen nichts gesagt?«
    Nun wusste Eschenbach nicht recht, worauf Rosa hinauswollte. Angesichts ihrer Verfassung hielt er es für keine gute Idee, von seinem Angebot bei der Banque Duprey zu erzählen. »Wir haben über dieses und jenes gesprochen, doch … Warum fragen Sie?«
    Rosa hielt inne, fuhr über ihr mit viel Gel gezähmtes Haar. »Hat er Ihnen denn nicht gesagt, dass ich bei ihm arbeiten werde?«
    * * *
    Eschenbach wachte auf, weil jemand an die Tür klopfte. Ein kleiner, äußerst wohlgenährter Mann kam herein. Er trug eine schwarze Kutte und lächelte höflich.
    »Ihr Frühstück, Doktor.«
    Der Kommissar folgte dem Mann mit den Augen, wie er mit dem Tablett am Bett vorbei zum Schreibtisch ging.
    »Da haben wir also einen Teller Suppe, zwei Scheiben Brot und ein Schoggibranchli mit Gianduja-Füllung. Sie müssen wieder zu Kräften kommen.«
    »Wer sind Sie?«
    »Ich bin Bruder John.« Der Mönch wandte sich ihm zu und lächelte abermals. Passend zum fülligen Körper, erstrahlte ein freundliches Mondgesicht. Alles in allem eine runde Erscheinung, dachte der Kommissar, auch die Gläser von Johns Nickelbrille waren kreisrund.
    »Und bevor Sie sich wieder aufregen, möchte ich Ihnen sagen, dass Sie in einem Kloster sind. Wir sorgen uns um Sie. Ich meine nur, damit Sie sich sicher fühlen.«
    »Sie – sich – sicher – fühlen.« Mechanisch und beinahe tonlos wiederholte Eschenbach diese idiotische Abfolge von Wörtern, und plötzlich wusste er, wo ihm dieser Satz das letzte Mal begegnet war. Auf dem Umschlag dieser verdammten Imagebroschüre. Ihm wurde heiß, das Meeting mit Regierungsrätin Sacher fiel ihm wieder ein: wie er seine Beherrschung verloren und außer sich vor Wut herumgepoltert hatte.
    »Brauchen Sie noch etwas?«, fragte der Mönch. »Ich wäre sonst fertig.«
    Eschenbach schüttelte den Kopf. Fertig!  – Sacher hatte »fertig« gesagt und zurückgeschrien, wie er es der zierlichen Mittfünfzigerin niemals zugetraut hätte. Wie eine fauchende Berglöwin hatte sie hinter ihrem schweren Eichenpult gesessen, mit ihrer bleichen Hand auf

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