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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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gratis abgegeben, damals, im September 1969. Und zwar an alle Haushaltungen der Schweiz, im Namen des Eidgenössischen Jus­tiz- und Polizeidepartements und im Auftrag des Bundesrates.
    Eschenbach las laut aus dem Vorwort:
    »Das Buch über die zivile Landesverteidigung ist die notwendige Ergänzung zum feldgrauen Soldatenbuch. Es stellt sich in den Dienst der gleichen, großen Aufgabe, unser Volk für den Ernstfall zu rüsten. Auch im modernen Krieg ist ein kleines Volk unüberwindbar, solange sein Wille zu Widerstand und Freiheit ungebrochen ist …«
    Lenz schien den Text zu kennen. Denn er seufzte an dieser Stelle laut auf und meinte: »Jetzt kommt ein wüster Teil über wehrlose Frauen und Kinder, die man uns töten will … Das kannst du überspringen. Nimm den nächsten Abschnitt.«
    Wieder zitierte der Kommissar aus dem Buch: »Der Feind wird deshalb versuchen, den Widerstandswillen unseres Volkes zu brechen, indem er uns unserer wirtschaftlichen Mittel beraubt, indem er durch Verbreitung von Gerüchten Unsicherheit schafft und unseren Glauben in die Möglichkeiten eines Widerstandes untergräbt.
    Dieses planmäßige Streben des Gegners vereiteln wir bereits im Frieden durch ebenso planmäßige Gegenmaßnahmen.
    Diese Aufgabe fällt all jenen zu, die nicht im feldgrauen Kleid in der Armee organisiert sind. Wer im Dienst für die Zivilverteidigung Personen und Güter schützt und den unerschütterlichen Willen zu Kampf und Freiheit hochhält und ausstrahlt, steht wie der Soldat in einem Dienst, der über Sein oder Nichtsein der Eidgenossenschaft entscheidet.
    Auch dieser Dienst will gelernt sein. Wir vergeuden sonst unnötig Kräfte und guten Willen.«
    Als Eschenbach fertig war, schwiegen beide eine Weile.
    Das Pfeifen der Vögel war zu hören und das entfernte Brummen des Verkehrs. Ein Streichholz zischte auf, weil sich Lenz eine Pfeife anzündete.
    Der Kommissar hatte das dumpfe Gefühl, dass er den Text, den er gerade vorlas, schon unzählige Male gehört hatte. Natürlich nicht im Duktus der pathetischen sechziger Jahre, in dem das Büchlein verfasst war. Nicht mit den Bedrohungsszenarien, die der Kalte Krieg hervorgebracht hatte. Sondern leiser, nüchterner. Politisch korrekt. Der heutigen Zeit angepasst.
    »Und, was sagst du?«, fragte Lenz, der sich wieder an seinem Computer zu schaffen machte.
    »Wenn wir heute in überkantonalen Polizeikonferenzen über Staatssicherheit diskutieren …«, begann Eschenbach. »Dann sind wir in tiefer Sorge, weil wir davon überzeugt sind, dass sich das organisierte Verbrechen bereits tief in unsere Gesellschaft hineingeschlichen hat. Es beginnt auf dem Pausenplatz, mit kleinen Erpressereien von Jugendbanden, und endet von mir aus beim Diebstahl von Bankdaten und Industriegeheimnissen. So gedacht, hat das Zivilverteidigungsbuch durchaus prophetische Züge. Allerdings sind wir heute schlechter gerüstet denn je.«
    »Allerdings«, wiederholte der Alte, der unter dem Namen Billadier einiges gefunden hatte. Er drehte den Laptop Eschenbach zu, sodass dieser das Bild sehen konnte.
    Einen Moment blickten beide in das freundliche Gesicht des Mannes mit der Hornbrille und den kleinen, intelligenten Augen.
    »Kommt er dir bekannt vor?« Lenz zog erwartungsvoll an seiner Bruyère-Pfeife.
    »Er ist noch jung … hier auf dem Foto, meine ich.« Eschenbach studierte die Gesichtszüge des Obersten und überlegte, ob er ihn vielleicht bei der Beerdigung von Banz gesehen hatte. Unter all den vielen Leuten dort? Nach einer Weile schüttelte der Kommissar den Kopf. »Keine Ahnung, Ewald. Sorry.«
    Etwas enttäuscht klappte Lenz den Laptop wieder zu, nahm die altmodische Kartonmappe, die er zusammen mit dem Büchlein mitgebracht hatte.
    »Ich habe noch etwas gefunden. Frag mich nicht, warum ich das habe.«
    »Ich frag ja nie.« Eschenbach hielt sich für einen Moment beide Hände vor die Augen.
    Der Alte zog ein Blatt Papier hervor und las: »›Das Buch soll aufrütteln: In einer Zeit, in der die Hochkonjunktur und vieles andere uns von dem Wesentlichen ablenkt …‹ und etwas weiter unten steht: ›Die geistige Vaterschaft des Buches übernehmen führende Persönlichkeiten unseres Landes in der Gestalt eines Patronates. Als Mitarbeiter stellen sich erste Fachleute auf dem Gebiete der geistigen, wirtschaftlichen, zivilen und militärischen Landesverteidigung zur Verfügung. Sie schaffen in kleinen Arbeitsgruppen oder übertragen ihre Erkenntnisse durch die Pflege der

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