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Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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merkwürdige Typ, dass ich gerade am liebsten schreiend davongerannt wäre? Und mich insgeheim fragte, weshalb ich diesen verdammten Brief nicht einfach ignoriert – oder noch besser, in einer ausgefeilten Zeremonie verbrannt hatte?
    Wir bogen in einen Gang ein, an dessen Ende ein Fenster schales Herbstlicht hereinließ, durchquerten eine Halle, schritten noch eine Treppe hinauf. Es folgte ein weiterer Flur mit rotseidener Wandbespannung, die sehr alt wirkte und ganz leicht den Duft nach schwarzem Tee verströmte. Schließlich, als ich schon dachte, wir würden ewig einfach nur so weiterlaufen und uns für immer in diesem Haus verlieren, blieb mein Begleiter stehen, legte einen Arm förmlich auf den Rücken und klopfte mit der anderen Hand an eine Tür.
    Sekundenbruchteile später ertönte aus dem dahinterliegenden Zimmer die Aufforderung, einzutreten. Eine sonore Stimme, nicht unfreundlich, aber bestimmt.
    Mein Herz machte einen Sprung. Diese Stimme! Sie brachte irgendetwas in mir zum Klingen! War es eine schattenhafte Erinnerung? Eine Ahnung? Ein Verdacht? Ich war mir ganz sicher, sie kürzlich erst gehört zu haben. Nur wo?
    Mein Begleiter ließ die Tür aufschwingen und winkte mich heran. Ich atmete tief ein, nickte ihm kurz zu und betrat dann das Zimmer – um im nächsten Moment heftig zurückzuzucken.
    Vor mir öffnete sich ein Büro in Form eines achteckigen Raumes. An den Wänden rötlich-dunkles Edelholz, über das sich kunstvolle Schnitzereien zogen, davor Vitrinen und Regale, gefüllt mit ledergebundenen Büchern, gläsernen Gefäßen und seltsamen Geräten, die in den Farben verschiedenster Metalle schimmerten und deren Sinn und Zweck sich mir auch auf den zweiten Blick nicht erschließen wollte. Ein großes bleigefasstes Fenster füllte eine der Wände fast vollkommen aus und ließ herbstlich goldenes Licht durch die blanken Scheiben hereinfallen.
    In der Mitte des Raumes stand der größte Schreibtisch, den ich jemals gesehen hatte. Es war ein wahres Ungetüm aus dunklem Holz und Metallbeschlägen – und dahinter, zurückgelehnt in einem bequem aussehenden Sessel, saß ein Mann.
    Mir wurde schlagartig übel.
    »Sie?«, stieß ich hervor und zwang mich dazu, einen Schritt nach vorne zu machen.
    Mein Gegenüber lächelte. »Ja, ich. Setzen Sie sich.«
    Ich hatte ihn auch ohne beigefarbenen Trenchcoat sofort erkannt. Sein Gesicht war so eindrücklich, dass ich es wahrscheinlich aus Tausenden hätte herausfiltern können. Die markante Grube am Kinn, der stechende Blick aus strahlend hellblauen Augen und das kinnlange graue Haar, das sein kantiges Gesicht einrahmte, hatten sich regelrecht in mein Gedächtnis eingebrannt.
    Als ich mich nicht rührte, deutete er auf den Stuhl.
    »Ich sagte: Setzen Sie sich. Ist Ihnen das unangenehm?«
    »Nein. Keineswegs.«
    Ich trotzte meinen weichen Knien einige weitere Schritte ab und ließ mich dann mit unbehaglichem Gefühl auf dem Stuhl nieder. Die Sitzfläche war mit rissigem braunen Leder bezogen und die Polsterung so weich, dass ich sofort ein kleines Stück einsank. Mein Unbehagen verstärkte sich.
    Der Mann jenseits des Tisches musterte mich mit undurchdringlicher Miene, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände locker im Schoß gefaltet.
    Ich räusperte mich und deutete mit einem Nicken auf die Tischplatte.
    »Teakholz?«, fragte ich, um die unangenehme Stille zu brechen. Ich hätte ebenso über die altertümliche Uhr an der Wand sprechen können, deren Pendel so träge hin und her schwang, als zähle es gleichgültig die verbleibenden Minuten unserer Leben, oder eine Bemerkung machen über den Strauß frischer Blumen in herbstlichen Farben, der dem Büro wohl etwas Heiteres geben sollte, diesen Zweck aber vollkommen verfehlte.
    Der Mann folgte meiner Geste mit dem Blick und zuckte mit den Schultern. »Möglich. Ist von meinen Vorgängern.«
    Dann setzte er sich zurecht und fixierte mich erneut. »Sie wissen, warum Sie hier sind?«
    Ich schüttelte den Kopf und versuchte krampfhaft, meine Nervosität zu verstecken, während der Kloß in meinem Hals bedenkliche Ausmaße annahm.
    »Bedaure, nein. Ihr Brief war ziemlich … kryptisch.«
    »Finden Sie?«
    Ich straffte mich, um größer zu wirken.
    »Ja. Das finde ich.«
    Der Mann lachte leise auf und irgendetwas an seinem Gelächter jagte mir Schauer über die Haut. Doch bevor ich noch etwas sagen konnte, beugte er sich vor und blickte mir direkt in die Augen.
    »Sie haben nicht die geringste Vorstellung, was

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