Ruf der Drachen (German Edition)
so schwer zu verstehen?«
Irgendetwas stimmt nicht mit dir.
Das Unbehagen in meiner Magengegend verwandelte sich innerhalb von Sekundenbruchteilen in Groll.
»Und ist es so schwer zu verstehen, dass ich manche Dinge lieber für mich behalte? Wir kennen uns kaum, Maren. Woher soll ich wissen, dass ich dir vertrauen kann?«
»Was bist du? Ein Geheimagent?« Maren lachte heiser. »Und ja, es stimmt, wir kennen uns kaum. Aber wenn das so weitergeht, werden wir uns auch niemals richtig kennenlernen. Weil du nichts von dir preisgibst. Du sitzt in einer fest verschlossenen Schale, Jakob, und in ganz seltenen, kostbaren Momenten bekommt man das Gefühl, man dürfte einen Blick hineinwerfen. Und dann schließt sich der Spalt wieder.« Sie schüttelte den Kopf. »Du gibst mir keine Chance. Du gibst niemandem wirklich eine Chance.«
Stimmte das?
Ich schwieg, getroffen von ihren Worten. Hielt ich sie auf Abstand? Und jeden anderen Menschen, der sich für mich interessierte, ebenfalls?
Ich musste einsehen, dass Maren nicht ganz unrecht hatte. Ich behielt gerne vieles für mich. Das meiste. Es gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Keiner der Frauen, mit denen ich bisher Beziehungen geführt hatte – oder das, was ich dafür hielt –, war es gelungen, hinter diese Mauern zu blicken. Wer ich wirklich war, blieb stets im Dunkeln. Diese Taktik hatte bisher für mich sehr gut funktioniert, doch ganz offensichtlich geriet ich damit gerade an Grenzen. Vielleicht war es an der Zeit, einen großen Schritt zu wagen.
Herausfordernd blickte ich Maren an und streckte ihr die Handflächen in einer offenen Geste entgegen.
»Also gut. Lernen wir uns kennen. Aber unter einer Bedingung.«
Maren runzelte die Stirn. »Und die wäre?«
»Für jede Information, die du von mir bekommst, erhalte ich eine von dir.« Ich beugte mich vor und sah ihr direkt in die Augen. »Sie sind nämlich auch nicht gerade ein offenes Buch, Mademoiselle Unger.«
Maren nagte an ihrer Unterlippe und ich konnte regelrecht sehen, wie es fieberhaft hinter ihrer Stirn arbeitete. In ihren Augen spiegelte sich ein Kampf aus Widerwillen und – was war es, was ich da sah? Interesse? Liebe? Ich konnte es nicht einordnen. Nur die Angst, die sich dazuschlich, die nahm ich mehr als deutlich wahr. Damals verstand ich sie nicht.
Schließlich atmete Maren tief durch und willigte ein.
»Also gut. Wenn du das so möchtest. Dann haben wir jetzt einen Deal.«
Ich lehnte mich zurück und legte gelassen einen Arm über die Stuhllehne.
»In Ordnung. Ein Deal also. Fangen wir an. Was willst du wissen?«
Maren verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Was ich wissen will? Alles. Aber vielleicht zuerst, wieso du ausgerechnet nach Berlin gekommen bist.«
***
Es dauerte den ganzen Tag und die halbe Nacht. Wir saßen in Marens Wohnung und die Zeit verflog nur so, als hätte sich alles um uns herum surreal beschleunigt, während wir beide wie in einem stillen Kokon ausharrten und uns unsere Geheimnisse verrieten. Nie zuvor hatte ich mich einem Menschen gegenüber so geöffnet. Ich weiß bis heute nicht, warum ich das tat. War es Marens Art, die richtigen Fragen zu stellen und zuzuhören wie jemand, der sich wirklich für mich interessierte? Oder war es einfach nur Geschick, eine sauber gelernte Verhörtechnik, die sich durch die Hintertüren des Unterbewusstseins schlich und einem dabei vorgaukelte, selbst jederzeit Herr der Lage zu bleiben? Die Antwort darauf habe ich nie erhalten. Und doch ist mir dieser besondere Tag mit Maren noch heute so deutlich in Erinnerung, als wäre es gestern gewesen. Ich weiß noch, dass es in der Wohnung ganz leicht nach Orangen roch, dass gelegentlich ein Vibrieren durch den alten Ofen in der Ecke lief und wie es sich anhörte, als der Regen draußen trommelnd auf die Fensterbretter schlug.
Die Zeit verstrich. Wir sprachen, lachten, kochten Kaffee – die Milch war aus –, setzten viel später Nudelwasser auf, öffneten Wein, öffneten die Seele.
Trotz allem, was ich heute weiß, ist es eine gute Erinnerung und meine Redseligkeit erscheint mir noch immer erklärlich. Sie war dumm und unbedarft, sicher, aber nachvollziehbar. Ich zweifle nicht daran, dass ich alles, was ich erzählte, aus völlig freien Stücken preisgab. Und für jedes Detail bekam ich ein Puzzleteil aus Marens Leben zurück.
Dass kein einziges dieser Teile etwas mit der wirklichen Maren zu tun hatte, dass Maren nicht einmal ihr richtiger Name war, ahnte ich damals nicht. Wie
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