Ruf der Dunkelheit
sie mich voller Misstrauen beäugte. Julians Miene verfinsterte sich, doch er sagte nichts. Währenddessen nahm Olivia behutsam Val´s Arm und zog sie Richtung Veranda. „Es stimmt, ich habe die Bilder auch gesehen … die Vision war … nicht ganz klar und jetzt … müssen wir erstmal analysieren, was wir gesehen haben. Aber glaub mir, es war nicht ganz umsonst. Du musst dich ein bisschen gedulden.“ Ich hörte, wie Valentina bei ihren Worten abfällig schnaubte. „Sobald wir mehr wissen, erfährst du es – vertrau mir.“ Offenbar zeigten Olivias schmeichelnde Worte die gewünschte Wirkung, denn Valentina schien sich ein bisschen zu beruhigen. „Ich hoffe, es dauert nicht zu lange, bis ihr eure Bilder analysiert habt“, erwiderte sie dennoch bissig und rannte die Stufen hinauf. Olivia seufzte, klemmte sich ihr Grimoire unter den Arm und warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu, ehe sie ebenfalls ins Haus verschwand.
Kaum waren Julian und ich allein, sah er fragend in mein Gesicht. Er musterte mich prüfend und ich wusste genau, dass er mich durchschaut hatte. Er presste die Lippen zusammen, doch ich hörte seine Worte in meinem Kopf.
Was hast du wirklich gesehen?
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte ihm das nicht in Gedanken mitteilen. Noch konnte ich selbst kaum glauben, wobei ich gerade Zeuge geworden war. Ich musste es selbst laut aussprechen. „Nicht hier“, murmelte ich nahezu lautlos, woraufhin Julian argwöhnisch eine Braue nach oben zog. Einen Moment lang kniff er die Augen zusammen und schien kurz zu überlegen. Dann packte er mich an der Hand und zog mich ohne ein Wort mit sich. Ich wusste, was er vorhatte, denn er würde nicht eher Ruhe geben, bevor er nicht wusste, was los war. Schnell sah ich mich um, weil ich mir nicht sicher war, ob uns Val vielleicht belauschen würde. Doch in ihrem Zimmer brannte kein Licht. Wahrscheinlich war sie gerade dabei, die arme Olivia zu bearbeiten, um doch an ein paar Informationen zu gelangen.
Mit schnellen Schritten folgte ich Julian ins dunkle Unterholz. „Wie weit willst du denn noch laufen?“, stieß ich hervor. „Uns ist niemand gefolgt.“ Er wandte den Kopf und sah kurz über meine Schulter hinweg, ehe er stehen blieb. Seine Augen suchten meinen Blick und ich konnte ihm ansehen, dass er keines unserer Worte vorhin glaubte. Argwöhnisch hob er eine Braue, dann wandte er sich ab, schlenderte zu einem mit Moos bewachsenen, umgestürzten Baumstamm und ließ sich darauf nieder. „Was hast du gesehen, Tamara?“ Seine direkten Worte sorgten dafür, dass das kalte, stechende Gefühl in meiner Magengrube wieder aufflammte. Seufzend schob ich die Hände in meine Hosentasche und biss mir auf die Lippe. Ich hörte, wie Julian geräuschvoll einatmete. „So schlimm?“, wollte er wissen.
Meine Augen brannten, als ich neben ihn trat und mich wie in Zeitlupe auf das feuchte Holz setzte. Ich sah ihn nicht an, als ich zu sprechen begann. „Es ist …“, wieder seufzte ich, „ich … ich kann selbst noch nicht glauben, was ich da gesehen habe.“ Ich spürte, wie sich Julians warme Finger sanft um meine Hand schlossen. Sein Blick ruhte auf mir und eine stille Träne rollte meine Wange hinab. „Er … Max … er ist bei … Margaretha.“ Meine Stimme war nur ein dünnes Flüstern. Kaum hatte ich ihren Namen ausgesprochen, nahm der Druck von Julians Fingern zu.
Krampfhaft krallten sie sich um meine Hand und sein Atem wurde schneller. „Aber … das … das kann doch gar nicht sein – unmöglich!“, sagte er mehr zu sich selbst, voller Unglauben über meine Worte. Plötzlich sprang er auf. „Sie … sie ist tot! Er kann nicht bei ihr sein!“ rief er aus und lief unruhig vor mir auf und ab. Das feuchte Laub unter seinen Schuhen gab schmatzende Geräusche von sich.
„Ich weiß doch selber, dass es nahezu unmöglich ist!“ Verzweifelt rieb ich mir die Schläfen. „Aber ich weiß, was ich gesehen habe – glaub mir Julian … sie ist es und … er war bei ihr – in ihrem Bett.“ Julian hielt inne und wandte langsam den Kopf in meine Richtung. Sein Blick spiegelte blankes Entsetzen wider und ihm schienen die Worte einen Moment lang nicht über die Lippen zu kommen. „Du-du meinst, sie sind zusammen? Und … er ist freiwillig bei ihr?“ Ich hob die Schultern und ließ sie resigniert wieder sinken. „Ich weiß nicht, ob er freiwillig dort geblieben ist. Aber …“ Meine Stimme brach ab und ich atmete geräuschvoll aus. „aber der Moment, den ich
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