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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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Bewegungen, der Ausdruck ihrer Augen, ihr Wesen – all das weckte sein Interesse. Ihre Kleidung war nicht auffällig, ihr Verhalten nicht provozierend. Im Gegenteil. Es schien, als lege sie es auf Unscheinbarkeit an mit ihrem dunkelgrünen Kleid und dem aufgesteckten Haar, das eher zu einer Matrone passen würde.
    Und doch hatte sie eine seltsame Wirkung auf ihn, gegen die er sich würde schützen müssen.
    Wie war er nur auf die Idee gekommen, ihr die Betreuung des Kindes anzutragen, das sie im Stich gelassen hatte? Hatte er den Verstand verloren? Er wollte sie nicht in seinem Haus haben. Er wollte sie nicht in seinem Leben haben.
    Warum dann diese heimtückische Neugier? Warum wollte er wissen, was ihr in den zehn Jahren seit ihrer Trennung widerfahren war?
    Er hatte die Straße überqueren wollen, blieb jedoch plötzlich stehen und starrte auf die Fahrbahn hinunter. Aber statt des Kopfsteinpflasters sah er Jeanne du Marchand, wie er sie vor ein paar Minuten gesehen hatte. Sie war nur ein Schatten des Mädchens, das sie gewesen war. Er bemerkte den Wagen, der auf ihn zurumpelte, erst, als der Fuhrmann schrie. Hastig machte Douglas den Weg frei.
    Er hatte geglaubt, mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben, aber bei Jeannes Anblick war er wieder zu dem jungen Mann von damals geworden, unschuldig, voller Hoffnung, der die Welt auf eine Weise sah, wie er es seitdem nie mehr getan hatte.
    Die Unschuld und Hoffnung hatte sich in Realismus gewandelt, der fortan sein Leben bestimmte. Er sollte vergessen, dass Jeanne in Edinburgh war, vergessen, dass er sie gesehen hatte, vergessen, was vor zehn Jahren gewesen war, all die Erinnerungen auslöschen, die er offenbar noch immer mit sich herumtrug.
    Bei seiner Kutsche angekommen, rief er Stephens »Nach Leith!« zu und stieg, entschlossen, Jeanne du Marchand aus seinen Gedanken zu verbannen, ein.
     
    Die Luft roch nach Ruß, ganz anders als die in Paris oder die süß duftende im Loiretal. Nicholas Comte du Marchand bedachte einen Mann, der ihn mit einer despektierlichen Kopfbewegung in die Richtung einer Frau angrinste, mit einem finsteren Blick. Es gab nicht mehr viele Menschen mit Manieren auf der Welt.
    Edinburgh beeindruckte ihn nicht sonderlich. Die schönsten Städte waren die in Frankreich, und die schönste Stadt von allen war natürlich Paris.
    Seit der Pöbel die Stadt Paris regierte, hatte sie ihren Zauber verloren, aber der Comte hatte die Hoffnung, dass irgendwann die Vernunft wieder in Frankreich Einzug halten würde und mit ihr die Aristokratie.
    Der Geburtsadel war abgeschafft worden, und die Legislative hatte allen Ernstes Österreich den Krieg erklärt. Außerdem hatten diese Narren im vergangenen Jahr den König und seine Familie, als sie außer Landes fliehen wollten, aufgegriffen und praktisch in den Tuilerien, dem Stadtschloss, eingesperrt, ein untrügliches Zeichen für die Radikalisierung der Revolution.
    Die Reise nach Edinburgh hatte beinahe einen Monat gedauert. Nicholas war verstimmt ob der Unbequemlichkeiten und entschlossener denn je, seine Tochter zu finden und sich wenigstens einen kleinen Teil seines Vermögens zurückzuholen. Von Justine hatte er erfahren, dass Jeanne Frankreich verlassen wollte, und seinen späteren Informationen nach hatte sie es tatsächlich getan. Wie es schien, waren die du Marchands Überlebenskünstler.
    In Edinburgh angekommen, wurde seine Suche schwieriger. Jeanne war nicht, wie angenommen, bei ihrer Tante, denn seine Schwägerin hatte, wie sich herausstellte, ein Jahr zuvor das Zeitliche gesegnet. Von einer französischen Emigrantin, heute Putzmacherin, erfuhr er, dass seine Tochter eine Anstellung bekommen hatte. Ein Mann erzählte ihm, dass er Jeanne eine Haarbürste seiner verstorbenen Frau geschenkt habe, und von einer Frau hörte er, dass sie Jeanne als Lohn für die Behandlung ihrer kranken Tochter ein paar ihrer Kleider überlassen hätte. Eine Person führte ihn zur nächsten, allesamt Emigranten und allesamt begierig, Geschichten über Paris auszutauschen oder ihn zu fragen, ob er etwas über ihre vermissten Freunde oder Verwandten wisse.
    Auch wenn es ihn Mühe kostete, zeigte er sich geduldig und wurde dafür schließlich mit der Adresse ihres Dienstherrn belohnt.
    Als er endlich von der gegenüberliegenden Straßenseite aus auf das große, vornehme Wohnhaus blickte, sah er seine Tochter mit einem kleinen Jungen an der Hand aus dem Seiteneingang kommen. Neugierig überquerte er die Straße und

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