Ruf der Sehnsucht
sollte sie in Eurem Auftrag beobachten«, erklärte der junge Mann neben ihr. »Was ich machen sollte, wenn sie sich mitten in der Nacht aus dem Haus schleichen würde, hat er nicht gesagt.«
Douglas schaute von ihm zu Jeanne und dann zu seinem Majordomus. »Ihr dürft Euch zurückziehen, Lassiter. Ich komme allein zurecht.«
Nach einem zweifelnden Blick verbeugte sich der Majordomus und entfernte sich.
Douglas gab dem jungen Mann ein paar Münzen und entließ ihn mit den Worten: »Ich danke Euch – das habt Ihr gut gemacht.«
Dann nahm er Jeanne beim Arm, zog sie ins Haus und schloss die Tür. Im nächsten Moment klopfte es.
»Sie hat ihren Koffer vergessen, Sir«, sagte der junge Mann, als Douglas öffnete, und reichte ihm das Gepäckstück.
Douglas nickte und schloss die Tür wieder. Die Brauen hochziehend, fragte er Jeanne: »Ihr wollt verreisen?«
»Ich sollte nicht hier sein.« Nicht auszudenken, wenn plötzlich seine Frau erschiene!
Wieder grollte Donner, diesmal bedeutend näher, und Douglas sagte: »Ich würde Euch raten zu bleiben, bis das Gewitter vorbei ist, Miss du Marchand. Außer Ihr müsst eine bestimmte Abfahrtszeit einhalten, natürlich.«
Sie schwieg.
»Warum habt Ihr Mr. Hartleys Haus verlassen? Wurde er zudringlich?« Seine Augen waren schmal geworden, und er hatte einen grimmigen Zug um den Mund. Wieder kam ihr der Gedanke, dass der Jüngling von einst zu einem beeindruckenden Mann herangereift war.
Plötzlich wollte sie alles über seine letzten zehn Jahre wissen. Was war ihm widerfahren? Wo war er gewesen? Und vor allem – warum hatte er sie im Stich gelassen?
Er wusste doch, wie sehr sie ihn liebte und wie unglücklich sie ohne ihn war. Jahrelang hatte sie sich gefragt, ob er tot war, und inbrünstiger für seine Seele gebetet als für ihre eigene.
»Ich sollte nicht hier sein«, sagte sie noch einmal.
»Dann geht«, erwiderte er brüsk.
Ihr Blick glitt zur Tür und dann zurück zu ihm.
»Oder bleibt.« Es klang wie eine Herausforderung.
Kapitel 11
K ommt mit«, bot er ihr eine dritte Möglichkeit, drehte sich um und ging voraus. An ihren Schritten auf dem Holzboden hörte er, dass Jeanne ihm folgte.
»Ist Eure Frau nicht da?«
Die Frage überraschte ihn – und auch Jeannes Gesichtsausdruck, als er stehen blieb und sich ihr zuwandte. Es schien ihm, als wappne sie sich für eine Antwort, die sie nicht hören wollte.
Er schalt sich für diese Torheit und antwortete: »Ich bin nicht verheiratet.«
»Nein?«
Er hatte sich doch nicht getäuscht: Sie wirkte erleichtert.
Douglas öffnete die Tür zum Salon und ließ Jeanne eintreten. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie nach Frühlingsblumen duftete.
Die Einrichtung des Raums hatten zwei seiner Schwägerinnen übernommen. Riona, James’ Ehefrau, und Iseabal, die Gemahlin seines Bruders Alisdair, kamen oft nach Edinburgh, obwohl sie eine Tagesreise entfernt lebten, und manchmal dachte er, dass sie es nicht der Einkäufe wegen taten, wie sie ihm sagten, sondern, um nach ihm zu sehen.
Blattgrüner Damast schmückte die Wände, die geschnitzten Sofas und Sessel vor dem Kamin. Douglas hatte den Bau des Hauses überwacht, aber seine Schwägerinnen hatten es zu einem Heim gemacht.
Jeanne blieb bei der Tür stehen, während er die Kerzen in einem Kandelaber auf der Kamineinfassung anzündete, die von einer Skulptur beherrscht wurde, einer Arbeit von Iseabal, die seine Mutter und seinen Vater darstellte, die nebeneinanderstehend in die Ferne blickten. Das Kunstwerk war als Erinnerung an Ian und Leitis für alle Brüder kopiert worden.
Douglas deutete auf einen geschnitzten Polstersessel mit nach innen gedrehten Volutenarmlehnen. »Wollt Ihr nicht Platz nehmen?«
Sie zögerte, setzte sich dann ans äußerste Ende des Sofas. Was für eine Ironie, dachte er – dort saß auch Margaret häufig, wenn sie Stillsitzen üben musste. Seine Tochter hatte die Lebhaftigkeit ihrer Mutter geerbt. Doch bei der Frau, die sie geboren und dann im Stich gelassen hatte, erinnerte nichts mehr an das überschäumende Temperament des jungen Mädchens von früher.
Douglas ging zum Konsoltisch und schenkte sich einen Brandy ein. Er sollte ihr einen Fruchtlikör anbieten. Der würde sie entspannen.
Andererseits war die verkrampfte Jeanne einer entspannten vorzuziehen, denn die würde ihn dazu veranlassen, sich zehn Jahre zurückzuerinnern.
Noch hatte keiner von ihnen ihre gemeinsame Vergangenheit erwähnt. Genau genommen war es ja keine
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