Ruf der Sehnsucht
verstanden habe, seid Ihr Französin. Ihr könntet meine Tochter die Sprache lehren.«
»Ich bin zur Hälfte Engländerin«, erwiderte sie, »und ich spreche nicht mehr Französisch.«
Wieder überraschte sie ihn. »Warum?«
Statt zu antworten, zuckte sie mit den Schultern.
»Dann könnt Ihr sie vielleicht in Mathematik unterrichten. Ich nehme an, Ihr seid in den Grundlagen der Erziehung einer höheren Tochter bewandert? Aquarellmalerei? Pianoforte? Sticken?«
»Sticken ist nicht meine Stärke.« Offenbar legte sie es darauf an, nicht engagiert zu werden.
»Beherrscht Ihr das Pianoforte?«, fragte er.
»Ja. Und ich verstehe mich gut genug aufs Tanzen, um es zu lehren – für den Fall, dass Ihr Euch die Ausgabe für einen Tanzlehrer sparen wollt.«
Sie hatte einmal mit ihm getanzt – unter der größten Trauerweide in dem geschützten Winkel des Gartens. Sie waren übermütig um den Baum herumgetanzt und hatten sich ausgeschüttet vor Lachen, weil jeder von ihnen eine andere Melodie summte. Er fragte sich, ob sie sich wohl auch noch daran erinnerte.
»Um Geld brauche ich mich nicht zu sorgen, Miss du Marchand. Ihr würdet bei mir auch mehr verdienen als bei Mr. Hartley.«
»Es gibt Wichtigeres als Reichtum, Mr. MacRae.«
»Zum Beispiel?«
»Sicherheit.«
Und wieder überraschte sie ihn. »Was meint Ihr damit?«
»Beabsichtigt Ihr, mich zu Eurer Mätresse zu machen?«, fragte sie geradeheraus. »Ich habe meine Stellung nicht aufgegeben, um jetzt in die gleiche Situation zu geraten.«
»Was veranlasst Euch zu dieser Vermutung?«
»Was veranlasst Euch, eine Gouvernante zu engagieren, wenn Eure Tochter gar nicht da ist?«
Er musterte sie nachdenklich. Schließlich sagte er: »Ich bin wesentlich vermögender als Hartley, und ganz gewiss ein besserer Liebhaber, Miss du Marchand.«
Jeanne hatte offensichtlich eine andere Reaktion erwartet. Vielleicht eine indignierte. Oder eine rechtfertigende. Aber er hatte keine Veranlassung, sich ihr gegenüber zu rechtfertigen.
»Das beantwortet meine Frage nicht, Sir.«
»Ich habe noch nie von einer Gouvernante verlangt, das Bett mit mir zu teilen.«
»Wie Ihr sagtet, habt Ihr noch nie eine Gouvernante eingestellt.«
Während ihres Schlagabtauschs hatte immer wieder Donner gegrollt, und nun, da sie beide schwiegen, war zu hören, dass draußen Regen herniederrauschte. Douglas beschloss, den Wortwechsel für heute zu beenden.
»Ihr seht müde aus«, sagte er.
»Darf ich Euch meine Gastfreundschaft anbieten und Euch zu einem der Gästezimmer geleiten oder soll ich Lassiter wecken, damit er es tut?« Er lächelte. »Edinburgh bei Nacht ist kein Ort für eine Frau, auch nicht für eine so selbständige wie Euch.«
Sie zögerte.
»Soll ich Euch eine schriftliche Versicherung geben, dass ich nicht über Euch herfallen werde? Oder meine weiblichen Angestellten herzitieren, damit sie Euch bestätigen, dass ich nicht die Angewohnheit habe, nächtens von Verlangen übermannt in ihre Zimmer einzudringen?«
»Weshalb verteidigt Ihr Euch – fühlt Ihr Euch von mir angegriffen?« Sie wirkte aufrichtig erstaunt.
»Es regnet in Strömen. Wollt Ihr bleiben, oder nicht?«
Ihre Blicke begegneten sich, und er fragte sich, ob sie seine Verwirrung spürte. Er wollte sie hassen, aber im Moment befand sie sich in einer prekären Situation, und er hatte noch nie die Notlage einer Frau ausgenutzt.
Er sollte sie gehen lassen. Aber dann würde er sich Gedanken über sie machen. Wenn sie blieb, wüsste er zumindest, wo sie war und wie es ihr ging.
Was bis heute aus ihm geworden war, ging auf die eine oder andere Weise auf Jeanne zurück. Aus Liebe zu ihr war er nach Frankreich zurückgekehrt, und dort hatte er seine Tochter gefunden. Für Margaret zu sorgen hatte ihn schnell erwachsen werden lassen und den Ehrgeiz in ihm geweckt, ebenso erfolgreich wie seine Brüder zu werden oder noch erfolgreicher. Jeanne hatte bewirkt, dass er nicht mehr so gutgläubig war wie damals in Paris. Nie wieder würde er so töricht sein.
Aber ihre Gegenwart erinnerte ihn an den Jüngling aus jenem Sommer und den Zauber ihrer unbeschwerten Zweisamkeit.
Er sollte sie wirklich gehen lassen, wenn er nicht in Gefahr geraten wollte.
Kapitel 12
D ie fremde Umgebung und das Wissen um Douglas’ Nähe hätte Jeanne eigentlich irritieren müssen, doch sie schlief sofort ein. Im Traum war sie wieder in Paris und dann in Vallans, dessen Überreste die Kulisse für eine unvorstellbar schöne Szenerie
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