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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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Wiedersehen auf der Straße hatte so viele Erinnerungen in ihr geweckt – an den Verlust ihrer Gutgläubigkeit, an den Verlust ihrer Freiheit, an den Verlust ihres Kindes, aber auch an die schönste Zeit ihres Lebens damals in Paris –, und diese hatten ihr die Kraft gegeben, die letzten zehn Jahre zu überstehen.
    Jetzt wollte sie mehr.
    Schenk mir neue Erinnerungen, auf denen ich mein künftiges Leben festmachen kann. Schenk mir etwas, woran ich mich in den langen, dunklen Stunden bis zu meinem Tod ablenken kann. Schenk mir die Erinnerung an deine Küsse und deinen Körper und an eine Liebe, die einst so stark war, dass sie mein Leben veränderte.
    Anstatt die Bitte in Worte zu fassen, würde sie mit ihren Händen, ihren Fingern, ihren Lippen und ihren Gliedern zu ihm sprechen, indem sie ihn liebte, die Erinnerung an das Mädchen wecken, das so viel gegeben und alles verloren hatte.
    Aber sie würde keine Treue von ihm erwarten.
    Als er sie schließlich küsste, war sie wieder süße Sechzehn. Bunte Blumen blühten im Garten, und sie und Douglas hatten unter der mächtigen Trauerweide ihr Liebeslager mit einer Decke bereitet, die sie aus dem Wäscheschrank entwendet hatte. Und dort lagen sie an einem regnerischen Tag, von den tiefhängenden Zweigen des alten Baumes geschützt, im Morgendunst und hörten die Tropfen leise auf das Laub fallen.
    Er hatte ihr das Küssen beigebracht, und sie war eine gelehrige Schülerin gewesen. An jenem Morgen vor langer Zeit war sie von ihm abgerückt und hatte gefragt: »Liebst du mich, Douglas?«
    Er lächelte sie an, und sie las die Antwort in seinen Augen. »Ja«, sagte er und küsste sie wieder. »Von Herzen.« Noch ein Kuss. »Aus tiefster Seele.« Ein dritter Kuss. »Mit meinem ganzen Sein.«
    Liebe mich wieder,
dachte sie inbrünstig.
    Jeanne stand auf und zog, dankbar für die Dunkelheit, ihr Nachthemd aus. Dann setzte sie sich zu Douglas auf die Bettkante. Er griff nach ihr und zog sie auf sich herunter. Ihre Brüste lagen auf seiner Brust, ihre Schenkel um seine Erektion. Ihre beiden Körper passten so vollkommen zusammen, als hätte die Natur sie eigens füreinander gemacht.
    Jeanne nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn mit all ihrem in zehn langen Jahren aufgestauten Verlangen, in denen Träume ihre einzigen Gefährten gewesen waren.
    Seine großen, warmen Hände glitten von ihrem Gesäß aufwärts über ihren Rücken. Plötzlich ließ er Jeanne los, schob sie von sich herunter und stand auf. Sie hörte ihn im Schubfach des Nachttischchens herumkramen, und gleich darauf verbreitete eine Kerzenflamme behagliches Licht.
    Jeanne zog das Einschlagtuch bis ans Kinn und rutschte zum Kopfteil des Bettes hinauf, fühlte die Blumen- und Blattwerkschnitzerei an ihrem Rücken. Der Zauber war verflogen.
    »Dreh dich um«, sagte Douglas langsam.
    Sie schüttelte den Kopf und schalt sich eine Närrin. Sie hätte wissen müssen, dass er es spüren würde.
    Er nahm sie bei den Schultern und drehte sie herum. Jeanne versuchte, sich zu wehren, aber er war so viel stärker. Gleich darauf fühlte sie die Wärme der Kerzenflamme dicht an ihren Schultern, und ihr fiel ein, wie eine der anderen Büßerinnen, die sie nach ihrer letzten Auspeitschung behandelte, entsetzt geflüstert hatte: »Dein armer Rücken, Jeanne! Er ist ja voller Narben.«
    »Was ist dir zugestoßen?«, fragte Douglas.
    Sie senkte den Kopf. Vor ein paar Minuten hatte sie die Zeit zurückdrehen wollen – bis zu dem Sommer, nach dem sie alles verloren hatte. Wie hatte sie glauben können, dass sie die Jahre allein durch ihre Willenskraft auslöschen könnte?
    »Was ist geschehen?«
    Jeanne spürte, wie er mit der Fingerspitze behutsam die Narben nachzeichnete. Sie wickelte das Einschlagtuch um sich, verließ das Bett und ging zum Fenster. Wenn sie doch ein Vogel wäre und davonfliegen könnte, den Fragen entfliehen. Aber sie war nur allzu menschlich, nicht wahr?
    »Mein Vater schickte mich ins Kloster Sacré-Coeur, und dort hielt man es für angebracht, mir einige Lektionen zu erteilen.«
    »In Form von Schlägen?«, fragte er ungläubig. »Was hast du denn so Schreckliches getan, Jeanne?«
    Sie hatte die Regeln angezweifelt, eine Novizin angelächelt, war in der Waschküche beim Weinen erwischt worden. All das deuteten die Nonnen als Beweise dafür, dass sie noch immer ihrem früheren Leben anhing, anstatt sich auf das ihr von Gott im Kloster zugedachte einzustellen.
    Jeanne wollte Douglas nicht antworten,

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