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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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erinnerte.
    Sie nickte.
    »Angesichts der politischen Lage wahrscheinlich der sicherste Ort.«
    Sie lächelte.
    »Meine Gefangenschaft hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Ich war hunderte Meilen von Paris und den Aufständen dort entfernt. Ich erlebte nicht mit, wie Vallans dem Erdboden gleichgemacht wurde. Ich wusste überhaupt nicht, was in Frankreich vor sich ging.«
    »Wann habt Ihr es erfahren?«
    Sie lachte freudlos. »Eines Morgens, nach dem Aufstehen, stellte ich fest, dass die Nonnen fort waren, offenbar in heller Panik geflohen, denn das Tor stand offen.«
    »Sie ließen Euch allein zurück?«, fragte er ungläubig.
    Jeanne hätte ihm gerne gesagt, dass das nicht das Schlimmste gewesen war, aber ihre Flucht durch Frankreich würde für immer ihr Geheimnis bleiben.
    »Ein junges Mädchen war noch da.« Eine Gefangene wie sie – aber immerhin am Leben. Auf dem Klosterfriedhof markierten nicht wenige Grabsteine die letzte Ruhestätte von Frauen, die aus ähnlichen Gründen wie Jeanne ins Kloster gesteckt worden waren.
    Gemeinsam mit dem Mädchen war sie durch die verlassene Klosteranlage gewandert. Als sie endlich begriffen, dass sie frei waren, machten sie sich auf den Weg, bevor jemand zurückkommen und sie wieder einsperren könnte.
    Das Kloster war neun Jahre lang zwar nicht Jeannes Heim gewesen, aber der Ort, an dem ihr Körper weitergelebt hatte. Als sie an jenem Tag, auf dem Hügel stehend, auf den grauen Gebäudekomplex hinunterblickte, senkte sich Nebel darauf herab, breitete sich wie eine Decke über die vergangenen neun Jahre.
    Douglas ließ sich Zeit mit seiner nächsten Frage, als wähle er sie mit Bedacht. Vielleicht sollte sie bei ihren Antworten ebensolchen Bedacht walten lassen.
    »Wohin gingt Ihr von dort aus?«
    »Nach Hause«, antwortete sie kurz angebunden, denn sie hatte plötzlich das Gefühl, verhört zu werden. »Nach Vallans.«
    Sie hatte nichts von der Zerstörung des Schlosses gewusst, stand völlig unvorbereitet vor den Trümmern. Nur die Grundmauern und Schornsteine standen noch, Überreste des prächtigen Herrensitzes, der die Gegend beherrscht hatte.
    Nachdem Jeanne ihre Schätze aus dem Versteck geholt und sich erhoben hatte, entdeckte sie eine Gestalt, die sie beobachtete. Groß und dünn und mit einer roten Haarkrone wirkte Justine wie ein Teil der Ruine, wie ihre Gebieterin. Mit erhobenem Kopf, die Hände zusammengelegt, blickte sie Jeanne regungslos entgegen, die sich ihr um Schutthaufen herum langsam näherte.
    Jeanne war, als wäre es eben erst gewesen, dass diese Frau ihr ihr Kind weggenommen hatte, nicht vor neun Jahren.
    »Ihr seht gut aus, Justine«, sagte sie, die ehemalige Hausdame von oben bis unten musternd. Das graue Kleid saß zwar ein wenig locker, aber die hochgetürmte Haartracht erinnerte an Paris, die Fingernägel waren sauber, und der Duft von Rosen stieg Jeanne in die Nase.
    »Ich wünschte, ich könnte von Euch das Gleiche sagen«, erwiderte die Hausdame, nachdem sie ihrerseits Jeanne eingehend gemustert hatte. Dann wandte sie sich zum Gehen. Nach ein paar Schritten drehte sie sich um und warf Jeanne einen Blick zu, die der stummen Aufforderung neugierig folgte.
    »Ich habe Euer Vallans einmal gesehen«, holte Douglas sie abrupt in die Gegenwart zurück.
    »Wann?«, fragte sie mit klopfendem Herzen. Hatte er am Ende doch nach ihr gesucht?
    »Vor sehr langer Zeit. Ich war auf der Suche nach jemandem.«
    »Habt Ihr ihn gefunden?«
    »In gewisser Weise«, antwortete er kryptisch.
    Jeanne dachte, er würde es erklären. Stattdessen bemerkte er: »Ihr habt kaum etwas gegessen.«
    Sie nickte und nahm wieder den Löffel zur Hand.
    »Das war kein Befehl.«
    Wieder nickte sie. »Ich weiß – aber man soll essen, wenn man kann.«
    Das hatte Justine an jenem Tag in Vallans gesagt. Sie hatte sich im Pförtnerhäuschen eingerichtet, es mit Kleinigkeiten wie einem Tischtuch und Vorhängen am Fenster wohnlich gemacht.
    »Ihr seht mich an, als hätte ich Euch noch nie etwas Gutes getan«, sagte sie, als sie eine irdene Schale mit Suppe vor Jeanne hinstellte. Jeanne war so hungrig, dass ihr vom Geruch der Suppe schwindlig wurde.
    »Das habt Ihr auch nicht.«
    Justine lächelte. »Die Umstände ändern sich. Menschen ändern sich.«
    »Als ich Euch das letzte Mal sah, nahmt Ihr mir mein Kind weg, und jetzt gebt Ihr mir zu essen und behauptet, freundlich zu sein. So sehr ändern Menschen sich nicht.«
    Justine setzte sich ihr gegenüber. Wie seltsam, dass das

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