Ruf der Sehnsucht
einsam wie in ihrer kargen Klosterzelle.
Nach einer Weile stand sie auf und schaute in die Nacht hinaus. Jeanne war in Stimmung für Sturm und Donnergrollen. Sie wollte Blitze und Gefahr, und plötzlich wünschte sie sich, inmitten eines Unwetters auf einem hohen Berg zu stehen, den Elementen die Stirn zu bieten und Gott herauszufordern, einen Blitzstrahl auf sie herabzuschleudern.
Als hätte Jeanne um Regen gebetet, begann er ans Fenster zu prasseln. Als sie hörte, wie sich hinter ihr leise die Tür öffnete und wieder schloss, verharrte sie regungslos, starrte durch die tropfenblinde Scheibe in die Finsternis.
»Ich musste einfach kommen«, sagte er.
»Ich habe dich erwartet«, erwiderte sie, womit sie beide ihre Schwäche füreinander eingestanden hatten.
Sie hörte ihn näher kommen, und gleich darauf drehte er sie zu sich um, zog sie an sich und küsste sie mit einer Leidenschaft, die die ihre spiegelte. Dann hob er sie hoch, trug sie zum Bett und zog, während draußen der erste Donner grollte, die Vorhänge zu.
»Du wusstest also, dass ich kommen würde.«
»Ja.«
»Und du willst mich bei dir haben.«
Statt zu antworten, legte sie die Hand an seine Wange und strich mit dem Daumen über das halbe Lächeln in seinem Mundwinkel.
In der vergangenen Nacht hatten sie sich zum ersten Mal in einem Bett geliebt, doch damals unter der Trauerweide war es nicht weniger magisch gewesen. Sie zweifelte nicht daran, dass diese Nacht genauso atemberaubend werden würde, fragte sich jedoch, ob es klug war, ihn wieder zu lieben. Die Überlegung war müßig, und außerdem vergaß Jeanne sie auf der Stelle, als er sie wieder küsste.
»Sag mir, was du willst«, bat er danach.
»Alles.«
Sie sah ihm an, dass die Antwort ihn überraschte.
»Das beinhaltet ein Dutzend Sünden, Jeanne«, gab er lächelnd zu bedenken.
»Damit kannst du mich nicht schrecken – ich bin für mehr Sünden bestraft worden, als ein Mensch in einem Leben begehen kann.«
Er zeichnete mit der Fingerspitze den Schwung ihre Unterlippe nach. »Und was soll ich als Erstes tun?«
»Mich wieder küssen.«
»Und dann?«
»Küss mich erst.«
»Eine bescheidene Bitte«, meinte er und erfüllte sie umgehend.
Lange Zeit später rückte Jeanne von ihm ab. »Ich will, dass du mich so genau kennenlernst, dass du mich als Teil von dir empfindest.« Langsam ließ sie ihre Hand von seinem Hals über seine Schulter gleiten, spürte, wie seine Muskeln sich unter ihrer Berührung anspannten. Anders als in der vorangegangenen Nacht war er vollständig bekleidet. Sogar die Stiefel trug er noch.
Trotzdem erregte sein Anblick sie, und an dem Glitzern in seinen Augen erkannte sie, dass es ihm nicht anders erging.
»Ich will dir so nahe sein, dass du deinen Atem nicht von meinem unterscheiden kannst«, sie legte die Hand an seine Brust, »deinen Herzschlag nicht von meinem, deine Lust nicht von meiner.«
Sie begann, sich an seinen Knöpfen zu schaffen zu machen. Er belächelte ihre fieberhaften Bemühungen, denn er konnte ja nicht wissen, dass ihre Ungeduld von Verzweiflung herrührte: Sie musste fühlen, um nicht denken zu müssen, sonst würden ihre Gedanken die Oberhand gewinnen.
Andererseits wäre es, auch wenn sie sich damit ihr eigenes Grab schaufelte, vielleicht besser, alles zu gestehen, anstatt weiter diese Anspannung ertragen zu müssen.
»Ich wurde dafür bestraft, keine Jungfrau mehr zu sein«, hörte sie sich sagen. Erschrocken blickte sie zu ihm auf.
Schweigend umfasste er ihre Hände.
»Wenn eine Frau erwachsen wird, schließt sie einen Pakt mit dem Teufel und saugt den Männern die Kraft aus, bis sie so schwach sind, dass sie sich willenlos zur Sünde verführen lassen.«
Douglas fuhr regelrecht zurück. »Wer hat das gesagt?«
»Eine Ordensfrau.« Im roten Licht des durch die Vorhänge dringenden Scheins der Kerze auf dem Nachttischchen sah Jeanne Douglas’ Blick plötzlich wachsam werden. »Schwester Marie-Thérèse sagte es jeden Abend vor meiner Bestrafung. Sie bewahrte die Peitsche auf dem Altar auf, als ständige Erinnerung daran, dass ihr Gott ein zorniger war. Ich versuchte, mich täglich für das Kommende zu wappnen, und war doch jedes Mal aufs Neue überrascht, wie weh es tat.«
»Findest du es passend, in dieser Situation eine Nonne zu zitieren?«, fragte er mit ausdrucksloser Stimme.
»Ich könnte mir keine passendere vorstellen«, erwiderte Jeanne, die Ironie des Augenblicks genießend. »Sie war eine sauertöpfische Frau,
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