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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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geöffneten Fenster wehte eine warme Brise herein. Der Teppich erinnerte Jeanne an den Lalange-Gobelin in Vallans, ein Stück von unglaublicher Schönheit, dessen einstmals lebhafte Farben im Lauf der Jahre zu einem Beige, Zartblau und Rosa verblasst waren.
    Der Salon war luxuriös, aber auf dezente Art. So wiesen nur Kleinigkeiten wie die vergoldeten Porzellandosen auf dem Tisch zwischen den Sesseln auf den Reichtum des Hausherrn hin. Was Jeanne jedoch vermisste, war die persönliche Note.
    Als Nächstes entdeckte sie den Kleinen Salon, das Wohnzimmer des Hauses. Hier waren die Wände mit sonnenblumengelbem Damast bespannt. An einer Wand standen ein geschnitztes gelbseidenes Sofa und ein passender Sessel mit gepolstertem Schemel, dazwischen ein runder, reichgeschnitzter Tisch, an einer anderen ein Konsoltisch gegenüber einer Reihe von Fenstern, die auf ein Stück Naturlandschaft mit Büschen, jungen Bäumen, Brombeersträuchern und einer riesigen, mitten auf einer Wiese in frühsommerlichem Hellgrün prunkenden Eiche hinausgingen.
    Auch auf dem Grundstück des Klosters hatte es einen einzelnen Baum gegeben. Er war nichts Besonderes gewesen, nicht besonders groß, nicht besonders ausladend, aber sie hatte ihn von ihrer Zelle aus sehen können. Jeden Tag gegen Abend und am frühen Morgen hatten sich dort Vögel versammelt, um ein Schwätzchen zu halten, und waren dann wieder davongeflogen. Jahr für Jahr hatte Jeanne beobachtet, wie sich das erste zarte Grün an den Ästen zeigte, wie es sich im Sommer in ein sattes Dunkelgrün wandelte, wie das Laub im Herbst alle Kraft verlor und sterbend zu Boden sank, und der Baum – ihr Baum – mit hängenden Ästen darum zu trauern schien.
    Sie verließ das Wohnzimmer. Als sie auf den Korridor hinaustrat, prallte sie beinahe gegen ein mit Schrubber und Eimer bewaffnetes Dienstmädchen.
    »Guten Morgen«, sagte das Mädchen, knickste und huschte mit seinen Utensilien an ihr vorbei ins Gelbe Zimmer.
    Der polierte Messinggriff an der Tür zu ihrer Rechten schien Jeanne regelrecht anzulocken, und sie sah keinen Anlass, der stummen Aufforderung zu widerstehen.
    Wenn nicht das Herz, so war dieser Raum zumindest der geistige Mittelpunkt des Hauses. Hier hingen schwere Samtvorhänge an den Fenstern, neben Mahagonibücherwänden mit in Leder gebundenen Bänden fand sich ein hoher Schrank mit Glastüren, ein mächtiger, geschnitzter Schreibtisch stand der Tür zugewandt.
    Jeanne trat darauf zu und ließ die Finger über die seidig glänzende Platte gleiten, auf der eine Schreibunterlage mit verzierten Lederecken lag. Oberhalb stand ein kristallenes Tintenfass, und daneben lagen frisch gespitzte Federkiele. Rechter Hand stand eine merkwürdige Laterne mit einem schwarzen Schirm. Als Jeanne sie näher untersuchte, erkannte sie, dass sich die Helligkeit durch ein Auf- und Abschieben des Metallzylinders in der Mitte regulieren ließ.
    Auf der linken Seite des Schreibtisches stand ein mehrarmiger Leuchter, die Kerzen durch kugelförmige Behälter aus Glas gegen Zugluft geschützt und daran gehindert, auf das Holz zu tropfen.
    Jeanne ging langsam um den Schreibtisch herum und setzte sich in den burgunderroten Ledersessel mit den Fransen am Sitzpolster. Als sie die Hände auf die Armstützen legte, spürte sie die Löwenköpfe, in die die Lehnen ausliefen.
    So saß auch Douglas hier, ließ seine Hände auf genau den gleichen Stellen ruhen.
    Das Haus kam ihr leer vor ohne ihn – und dieser Raum ganz besonders. Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und atmete den Geruch des Leders ein. Ein maskuliner Raum, einer, der Douglas mehr entsprach als die anderen Zimmer, die sie gesehen hatte.
    Wann würde er zurückkehren?
    In dieses Haus zu kommen, wieder mit Douglas zusammen zu sein, gab ihr das Gefühl, zwischen Vergangenheit und Zukunft gefangen zu sein, in einer nebulösen Gegenwart, die keine Konturen hatte. Ihr Verstand riet zu Zurückhaltung – was sie hier erlebte, war nur ein Intermezzo –, aber ihr Herz spielte nicht mit. Ihre Liebe zu Douglas hatte allen Widrigkeiten getrotzt – sie war so lebendig wie eh und je.
    Jeanne öffnete die Augen, und ihr Blick wanderte zu dem Kamin, der ebenso prächtig war wie der im Salon, flankiert von einem Messing-Kaminbesteck und einer großen, kupfernen Urne für die Asche. Ein Kaminschirm gestattete, sich nahe dem Feuer aufzuwärmen, wenn man aus der Kälte kam, wozu zwei mit burgunderrotem Stoff bezogene Ohrensessel einluden, zwischen

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