Ruf der Sehnsucht
am Leben verlieren oder gezwungen würde, ihre Gefühle zu verbergen, wie ihre Mutter es so geschickt verstand, was wahrscheinlich auf deren Zeit im Kloster zurückzuführen war.
»Guten Tag, Sir«, rief ein Mann aus einer mannshohen halbrunden Nische in der Front des mittleren Speichers. Douglas steuerte lächelnd auf ihn zu.
»Guten Tag, Jim.«
Der Mann, den er begrüßte, hatte ein sonnengebräuntes runzliges Gesicht und trug das weiße Haar zu einem ordentlichen Zopf geflochten. Mit seinem geraden Rücken und den ungebeugten Schultern wirkte er viel jünger, als er war. Jim blickte voller Stolz auf seine Vergangenheit beim Militär zurück – er hatte viele Jahre in einem der Highland-Regimenter gedient.
»Guten Morgen, Miss Margaret«, sagte er. »Seid Ihr gekommen, um die neuen Waren zu begutachten?«
»Ja, Mr. MacManus.« Sie ließ Douglas’ Hand los und erklärte mit einer Geste: »Dies ist meine Gouvernante, Miss du Marchand.«
Jim grüßte Jeanne, indem er an seine Mütze tippte.
»Jim ist unser Wachmann«, sagte Douglas aus dem Mundwinkel zu Jeanne. »Er sorgt dafür, dass kein Unbefugter die Lagerhäuser betritt.« Er drehte sich Jim zu. »Ist Henry in der Nähe?«
»Ja, Sir. Er wird beim Lotsen sein. Soll ich ihn holen?«
»Nein, nein, ich finde ihn schon, wenn ich ihn brauchen sollte.«
»Dann sage ich ihm aber wenigstens Bescheid, dass Ihr da seid, Sir.«
»Tut das – und grüßt mir Paulina.«
Der alte Mann nickte erfreut. »Das mache ich, Sir. Sie fragt jeden Abend als Erstes nach Euch.«
»Paulina ist Jims Frau!«, erklärte Douglas Jeanne. »Sie ist eine reizende Lady, die mir Kuchen backt.«
»Wirklich?« Sie lächelte amüsiert.
Ein bogenförmiger Giebel bekrönte die schwere Flügeltür des Lagerhauses, und Douglas sah Jeanne die lateinische Inschrift oben lesen.
Sie hatte eine hervorragende Ausbildung genossen.
»Ich spreche Englisch wie die Engländer und Deutsch wie die Deutschen«, hatte sie damals eines Tages zu ihm gesagt.
»Ja, du hast in der Tat keinen Akzent«, hatte Douglas bewundernd bestätigt. Er war von Anfang an fasziniert gewesen, dass sie wie eine englische Herzogin klang, wenn sie Englisch sprach.
Sie nickte ernst, und er hätte sie am liebsten geküsst. »Mit Akzent zu sprechen ist eine Beleidigung für den Menschen, mit dem man spricht. Außerdem war meine Mutter Engländerin, wenn mein Vater das auch gerne vergessen würde. Und mein Kindermädchen war eine Deutsche.«
»Und was ist mit Latein?«, neckte er sie.
»Du weißt sehr gut, dass diese Sprache heute nicht mehr gebräuchlich ist. Aber ich spreche Italienisch.«
Trotzdem würde sie keine Schwierigkeiten haben, das in den Stein gemeißelte MacRae-Motto zu übersetzen. Die fünf Brüder hatten den ursprünglichen Wahlspruch
Fortitudine – Mit Unerschrockenheit –
um
Unsere Familie. Unsere Stärke
erweitert.
Douglas öffnete einen Türflügel und ließ Margaret und Jeanne den Vortritt. Eine berauschende Mischung von Gerüchen schlug ihnen entgegen.
Als ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, ging Douglas voraus den Mittelgang hinunter.
»Hier arbeitet ja niemand«, wunderte sich Jeanne.
»Es ist Mittagszeit, Miss du Marchand«, sagte Margaret. »Die Leute sind alle im Speisesaal.«
»Ich respektiere die Menschen, die für mich arbeiten«, erklärte Douglas, als er Jeannes überraschten Blick sah. »Dachtet Ihr etwa, ich wäre ein Ausbeuter oder Leuteschinder?«
Sie schüttelte den Kopf. Eine absolut unbefriedigende Reaktion. Wieder wurde ihm bewusst, dass er sie beeindrucken wollte. Er wollte, dass sie sich mit großen Augen umsah und bewunderte, was er geschaffen hatte. Es war jetzt sieben Jahre her, dass er MacRae Brothers gegründet hatte, und seitdem investierte er all seine Kraft und schlaflose Nächte in sein Werk. Hätte er darum gebeten, wäre ihm die Unterstützung seiner Brüder sicher gewesen, doch er hatte es vorgezogen, sein Ziel allein zu erreichen, ein Ehrgeiz, der ihn als einen MacRae kennzeichnete.
Natürlich wusste Jeanne nicht, dass er noch nie eine Frau mit hierhergenommen hatte – abgesehen von seinen Schwägerinnen. Dass sie seine Leistung lobten, freute ihn natürlich, bedeutete ihm in diesem Moment aber nicht annähernd so viel, wie Jeannes Anerkennung es täte.
Doch er wartete vergebens auf eine Begeisterungskundgebung. Jeanne sagte kein Wort, wirkte nicht einmal ansatzweise beeindruckt. Nun ja, tröstete er sich, als Tochter des Comte du
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