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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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Alles in allem keine attraktive Erscheinung, aber als er lächelte, waren seine körperlichen Mängel von einer Sekunde zur anderen vergessen.
    Margaret lief mit einem Freudenschrei zu ihm. »Henry! Ihr seid wieder da!«
    Aus irgendeinem Grund, den Douglas nicht ganz nachvollziehen konnte, hatte seine Tochter Henry auf den ersten Blick ins Herz geschlossen. Damals war sie fünf Jahre alt gewesen und ohne Zögern auf ihn zugegangen. Fortan lud sie ihn an Feiertagen zum Essen ein und schenkte ihm immer etwas zum Geburtstag. Im Gegenzug brachte Henry ihr von jeder seiner Reisen eine Kleinigkeit mit. In dieser Hinsicht verwöhnte er das Mädchen ebenso, wie Douglas es tat.
    »Habt Ihr mir etwas mitgebracht?«, fragte sie denn auch gespannt.
    »Margaret!«, ermahnte Douglas sie, doch sie lächelte nur schelmisch zu ihm auf.
    »Ja, natürlich«, antwortete Henry und erbat mit einem Blick Douglas’ Erlaubnis.
    »Nur zu.« Douglas sah den beiden nach, als sie Hand in Hand zur Treppe gingen. Henrys Arbeitsplatz befand sich im Verwaltungsgebäude. Wenn der altgediente Angestellte nicht in Douglas’ Auftrag unterwegs war, leistete er hervorragende Arbeit als Buchhalter.
    Douglas wusste aus Erfahrung, dass seine Tochter sich auf den Stuhl vor Henrys Schreibtisch setzen und ihrem Freund haarklein alles erzählen würde, was sich seit ihrer letzten Begegnung in ihrem Leben ereignet hatte – und diese Ausführlichkeit gab ihm jetzt Gelegenheit, mit Jeanne zu sprechen.
    Der Moment war gekommen. Endlich. Unwiderruflich.
    Douglas wandte sich Jeanne zu und deutete eine Verbeugung an. »Ich möchte dich bitten, mich in mein Büro zu begleiten. Ich muss mit dir reden.«
    Sie runzelte die Stirn. »Was hast du für ein Problem?«
    »Du bist mein Problem.«
    Die Falten auf ihrer Stirn wurden noch tiefer, doch Jeanne schwieg.
    Er verließ den Tresorraum und schaute über seine Schulter, um zu sehen, ob Jeanne ihm folgte. Diesmal blieb sie nicht allein zurück.
    Vor seinem Büro angelangt, fragte er sich, ob dieses Gespräch wirklich eine gute Idee war. Worte, die einmal ausgesprochen waren, konnte man nicht zurücknehmen. Es blieben ihm danach nur zwei Möglichkeiten: Jeanne aus seinem Leben zu verbannen oder sich dafür zu hassen, es nicht zu tun.
    Jeanne stand abwartend neben ihm, die Hände wohlerzogen zusammengelegt, den Hut exakt im vorgeschriebenen Winkel auf dem Kopf. Sie trug das dunkelblaue Kleid, in dem er sie – in Hartleys Haus – nach zehn Jahren das erste Mal wiedergesehen hatte. Jeder Zoll das Bild einer Gouvernante.
    Plötzlich überkam ihn der Wunsch, den Ernst aus ihrem Gesicht zu vertreiben, sie dazu zu bringen, so übermütig zu lachen, wie sie es früher getan hatte und wie ihre Tochter es heute tat. Er wollte sie in das Mädchen zurückverwandeln, das er einmal gekannt hatte. Er, der Scheinheiligkeit verabscheute, sie aber seit Wochen praktizierte, entschied, dass ein paar Stunden mehr nun auch nichts mehr ausmachten.
    Vielleicht könnte er sie überreden, ihn heute Abend in ihr Zimmer einzuladen. Vielleicht würde er sie aber auch in seines bitten. Und dann würde er ihr nicht als der von Neugier und Verwirrung geplagte Mann beiwohnen, sondern wie der Junge von damals, mit all der Unschuld der ersten Liebe.
    Die Luft zwischen ihnen schien zu flimmern. Er wollte Jeanne berühren, wagte es jedoch nicht. Er wollte sie schütteln, aber das würde in einer Umarmung enden. Er wollte sie zwingen, ihre Sünden zu bekennen – vielleicht mit einem Kuss.
    Gott helfe ihm – er begehrte sie noch immer.

Kapitel 27
    D ouglas öffnete die Tür zu seinem Büro und ließ Jeanne den Vortritt.
    Jeanne wollte nicht eintreten – sie wollte gehen. Wenn sie klug wäre, würde sie die französischen Emigranten aufsuchen, die ihr schon einmal Unterschlupf gewährt hatten und es vielleicht wieder täten. Aber wann war sie jemals klug gewesen, wenn es um Douglas ging?
    Mehrteilige Fenster gingen auf das Meer und den belebten Hafen hinaus. Vor der gegenüberliegenden Wand stand ein Mahagonischreibtisch, dessen Platte von vier geschnitzten, tanzenden Delphinen gestützt wurde. Wenn Douglas dort saß, konnte er die Schiffe ein- und auslaufen sehen. Träumte er dann von fernen Orten, oder war Edinburgh ihm Abenteuer genug?
    Vor einem der Fenster thronte auf einem Dreifuß ein langes Messingrohr. Jeanne trat darauf zu und berührte die Montierung, an der das seltsame Gerät befestigt war.
    »Was ist das?«, fragte sie.
    »Ein Teleskop.

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