Ruf der Vergangenheit
die Faust. „Indem er mein Silentium gebrochen hat.“
„Das kann man auch tun, ohne das Individuum zu zerstören.“ Er warf das Apfelgehäuse ins Unterholz, von einem überhängenden Ast fiel Schnee auf seine Jacke. „Lass uns da hinunter gehen.“
Sie folgte ihm durch schneebedeckte Tannen, doch ihre Gedanken waren nach innen gerichtet. Zum ersten Mal, seit sie in dem Krankenbett neulich zu sich gekommen war, sah sie tief in sich hinein, suchte nach den Kontrollen, den Zwängen, denen ihre Psyche ausgesetzt war. Die Klauen waren mit Widerhaken besetzt. Sie auszureißen, würde Teile von ihr zerstören, eventuell sogar ihr Gehirn irreparabel schädigen. Es wäre leichter gewesen, gleich aufzugeben, aber sie entschied sich anders, nutzte die Brutalität der Kontrolle als Zündstoff für ihre Wut.
Und zögerte nicht einen Augenblick, als sie den Durchgang sah. Die Klauen rissen an ihr, schlugen ihr blutige Wunden, die ihr so echt vorkamen, dass sie den leicht süßlichen, metallischen Geruch wahrnahm. Doch sie blieb nicht stehen auf ihrer Suche nach Antworten – nach sich selbst.
Nach zwei weiteren Schritten erfasste sie eine Furcht, die ihr das Herz zusammenpresste. „Dev.“ Ein heiserer Hilfeschrei, an einen Mann gerichtet, der sein eigenes Herz anscheinend mit dem Sonnenaufgang auf Eis gelegt hatte.
Er ergriff ihre Hand, seine Wärme durchdrang ihre Haut, erfüllte jede Zelle. Die Furcht verging nicht, aber sie wusste nun, woher sie kam. Einprogrammiert, um sie davon abzuhalten, ans Ende ihres Weges zu gelangen. Ihr Kopf fühlte sich an, als sei er mit Blut gefüllt, aber sie hielt erst inne, als sie angekommen war.
Fand, was sie suchte, tief verborgen und so unabdingbar wie ihr Herzschlag – die Verbindung zum Medialnet, dem Feedback, das ihren Geist am Leben erhielt. Sie betrachtete die stabile Lichtsäule und begriff sofort, dass sich auch hier keine Fluchtmöglichkeit bot. Die Verbindung diente nur dazu, sie am Leben zu erhalten. Es gab über sie keinen Zugang zum Medialnet. Um hineinzukommen, sich dort zu bewegen, musste sie eine Tür finden.
Das hatte sie bereits versucht, aber da war sie noch geschwächt gewesen, ihr Geist noch verwirrt. Vielleicht hatte sie etwas übersehen. Nun ging sie Schritt für Schritt vor … und hatte Erfolg. Der Durchgang lag hinter mehreren Lagen Stacheldraht. Sie schluckte und streckte die Hände durch die scharfen Dornen, öffnete die Tür ein paar Millimeter.
Schwärzeste Dunkelheit.
Nicht die schwarze Ebene des Medialnet, sondern ein weiterer Schild. Von ihrem Folterer dorthin gestellt, mit ihm auf irgendeine Weise verbunden. Aber … „Es ist keine Gedankenkontrolle“, sagte sie laut. „Keine allzeit offene Verbindung. Das würde zu viel Energie kosten.“ Deshalb hatte er sie in ihrem Kopf eingeschlossen, hatte ihr Instruktionen erteilt und sie dann freigelassen. „Er weiß nicht, was ich weiß. Sieht nicht, was ich sehe.“ Die feste Klammer um ihr Herz lockerte sich.
„Wahrscheinlich bist du darauf programmiert, mit ihm in Kontakt zu treten, sobald du etwas Wichtiges entdeckst.“ Devs Stimme war ausdruckslos, sie waren auf einer kleinen Lichtung stehen geblieben, auf die ein paar Sonnenstrahlen fielen. „Könnte so einfach wie ein Anruf sein.“
Sie schloss die Tür in ihrem Kopf wieder und kehrte auf demselben Weg in die physische Welt zurück. Es kostete viel Kraft, mit beiden Beinen fest auf dem glitzernden Schnee zu stehen und sich davon zu überzeugen, dass sie in Wirklichkeit nicht blutete. „Ich glaube, mein Überleben war nie eine Option.“
Devs Kiefermuskeln mahlten. „Was hast du entdeckt?“
„Seine Kontrolle ist tief verankert. Selbst wenn ich herausfände, wie sie zu lösen ist, sehe ich keine Möglichkeit, mit dem Leben davonzukommen.“
„Er muss einen Schlüssel haben, um die Kontrolle ohne größere Schädigungen aufzuheben.“
„Aber den wird er mir bestimmt nicht geben.“ Sie steckte die Hände in ihre Manteltaschen, ihr war kalt bis auf die Knochen. „Sterben werde ich also auf jeden Fall. Weißt du, was ich jetzt tun möchte?“
Er sagte nichts, sah sie einfach nur an mit den braunen Augen, in denen bernsteinfarbene Flecken leuchteten.
„Mir bleibt nur noch eines – meinem Gefühl zu folgen.“
„Und was sagt dir dieses Gefühl?“
Sie sah ihm in die Augen, hoffte, dass er verstand und dass er sie freigab. „Ich muss nach Norden gehen.“
Aber ihr schlug nur Eis entgegen. Kalt und glatt … wie härtester
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