Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
suggerieren. Die Folter hat dann ihr übriges getan. Vielleicht waren auch Psychopharmaka mit im Spiel.“
„Aber warum?“
„Entweder, um zu verhindern, dass das Chateau verkauft wird, oder wegen einer persönlichen Sache, die den Amerikaner betrifft. Ich denke, es ist ersteres. Jemand will etwas verbergen und nutzt die Gruselgeschichte über die Dame in Purpur.“
„Du weißt mehr über diese Frau, nicht wahr?“
Grinsend blickte er mich an. Ich hatte das Gefühl, dass ihm der Schalk im Nacken saß.
„Dir kann man nichts vormachen, Mel. Ja, ich weiß über Angelique D’Argent Bescheid. Es gibt Aufzeichnungen über sie in den Archiven der Ashera. Sie war tatsächlich eine Hexe. Aber sie nutzte ihre Fähigkeiten ausschließlich zum Heilen. Sehr erfolgreich. Leider ist ein Großteil ihres Wissens um die Kräfte der Kräuter mit ihr verbrannt. Das Schloss stand damals übrigens nicht einige Jahre leer, sondern genau zwei Wochen. Na, kannst du das Puzzle fertig stellen?“
„Ich denke schon. Dieser Fremde hat die Lügen in die Welt gesetzt, weil er das Schloss haben wollte. Und vermutlich kannte er Angelique auch schon vorher und wusste über ihre Hexenkünste Bescheid.“
„Ganz genau. Aber er hatte kein Glück. Er starb nur wenige Tage nach seinem Einzug in das Chateau, als ein Teil des Daches im Ostflügel über ihm zusammenbrach und ihn unter sich begrub. Vielleicht die einzige Aktion, die Angeliques Geist noch im Diesseits bewirkte. Um für Gerechtigkeit zu sorgen. Vielleicht war es aber auch nur ein ganz gewöhnlicher Unfall. Schließlich war der Ostflügel schon eine Weile baufällig. Auch Angeliques kleine Tochter starb durch einen Unfall im Ostflügel. Und nicht, weil sie irgendeinem Dämon geopfert wurde. Danach stand das Chateau tatsächlich für einige Jahre leer, bis es einen neuen Besitzer fand. Die Kirche übernahm es in dieser Zeit, weil niemand Anspruch darauf erhob und weil man das Bauwerk nicht verfallen lassen wollte. Außerdem war Angelique ja eine Hexe gewesen. In solchen Fällen stand es der Kirche zu, den Besitz zu beanspruchen. Die Familie, von der Madame Bouvier gesprochen hat, kaufte es schließlich. Sie hatte aber leider viel Pech, verlor eine Menge Geld bei diversen Unternehmungen, und schließlich erlag ihre jüngste Tochter einer bis heute ungeklärten Krankheit. Danach war auch die Kirche nicht mehr bereit, das Chateau zu übernehmen, und so verfiel es allmählich. All das hat nichts mit Geistern zu tun. Angelique ist jedenfalls nie wieder aus der Totenwelt zurückgekehrt. Ich wüsste nicht, warum sie es jetzt tun sollte. Aber jemand hofft, durch diese Geschichte jeden vom Chateau fernhalten zu können. Ich will wissen, warum. Es muss um viel gehen, wenn man dafür sogar einen Mann einer Gehirnwäsche unterzieht.“
Ich stimmte ihm zu. Auch mich packte die Neugier, was wirklich dahinter steckte.
Wir nutzten diese Nacht, um uns das Chateau genauer anzusehen. Dazu trennten wir uns. George nahm sich den Keller vor, ich mir das Obergeschoss. Wir würden uns dann später im Erdgeschoss wieder treffen.
Bewaffnet mit einer Taschenlampe, stieg ich die uralte Steintreppe hinauf. Um mich nicht zu verirren, ging ich von der Treppe aus nach links und begann mit dem hintersten Raum. Er war nicht verschlossen. Die Tür schwang mit einem Ächzen auf. Das Zimmer war kahl, bis auf ein großes Himmelbett, dessen Baldachin vergilbt und mottenzerfressen daran hing. Außerdem stand noch ein kleiner Spiegeltisch neben dem Fenster. Fensterläden gab es keine. Fahles Mondlicht fiel durch die Scheiben. Eine Vision stieg in mir hoch. Die Hände am Fenstersims drehte ich mich langsam zum Rauminneren um und blickte ins Unendliche. Die Konturen verschwammen, bis die Verzerrung so stark schmerzte, dass ich die Augen schloss und nur noch mein drittes Auge sehen ließ.
Eine Frau mit hellblondem, fast weißem Haar kniete neben dem Bett und hielt die Hand eines Mannes, der im Delirium lag. Seine Stirn war schweißnass, seine Haut tiefrot, sein Körper zitterte unkontrolliert. Die Frau murmelte Worte und wiegte sich hin und her. Schließlich stand sie langsam auf, wobei sie nicht eine Sekunde diesen merkwürdigen Singsang unterbrach. Unter einem groben purpurfarbenem Umhang trug sie ein langes, gleichfarbenes Musslinkleid. Kein Zweifel, diese Frau war Angelique D’Argent.
Jetzt nahm sie ein Gefäß von dem Spiegeltisch, und streute etwas aus einer Tasche in ihrem Umhang hinein. Die Flüssigkeit begann
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