Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
ging ich noch aus der Drehung heraus auf ihn los. Er fing meine Hände ab, die ich bereits zu Krallen gekrümmt hatte, um ihm die Augen aus dem Kopf zu kratzen.
„Warum tust du das?“, schrie ich ihn an. „Warum musst du allen immer nur wehtun? Du verdammter Mistkerl!“
„Er hätte meinen Platz niemals einnehmen können. Er war doch nur ein Spielzeug für den Lord. Nicht schade drum.“
Aus seiner Stimme klangen Eifersucht und Genugtuung. In diesem Moment hasste ich ihn.
„Geht es wirklich darum? Bist du so eifersüchtig, dass du ihm nicht gönnen wolltest, was du nie mehr haben wirst? Weil du zu feige bist, Lucien noch einmal unter die Augen zu treten?“
Er ließ mich los und versetzte mir eine schallende Ohrfeige. Strauchelnd balancierte ich am Rand des Felsufers.
„Kroah“, zerriss es die Stille der Höhle.
Camilles Krähe landete auf meiner Schulter. Ihr Kopf zuckte zwischen dem Engel und Dracon ein paar Mal hin und her. Ohne Vorwarnung stieß sie sich dann von meiner Schulter ab und flog, die Krallen voraus, auf Dracon zu, um das zu vollenden, was mir missglückt war. Leider blieb sie ebenso erfolglos wie ich. Er wehrte die Attacke blitzschnell ab und Camilles Seelenvogel wurde quer über den See geschleudert bis er mit einem dumpfen Schlag an der gegenüberliegenden Wand aufschlug.
„Nettes Vögelchen“, hörte ich Dracon noch höhnen, bevor der Schmerz, welcher durch meinen Körper zuckte, jede andere Wahrnehmung ausschaltete.
„Melissa!“, hörte ich Armands Stimme. Armand? Hier? Oh meine Göttin, was würde geschehen, wenn die beiden Vampire einander gegenüber standen?
Ich taumelte über die Uferkante in das warme Wasser des Sees. Als die Wellen über mir zusammenschlugen hörte ich das Gebrüll zweier Löwen, die aufeinander losgingen. Ich drehte den Kopf, sah graue und gelbe Blitze, die zwischen den beiden sich umkreisenden Streithähnen durch die Luft zischten. Eine tiefe Wunde klaffte in Dracons schönem Gesicht, während ein hasserfülltes, selbstzufriedenes Lächeln auf Armands Lippen lag. Angst lag im Blick des Drachen, Mordlust in dem meines Liebsten. Dann füllte Blut meinen Mund, lockte mich verheißungsvoll in die Tiefe. Schon spürte ich, wie mein Wille brach, sich diesem süßen Rausch beugen wollte. Da glitt eine starke Hand durch die getrübte Oberfläche des Wassers, ergriff mein Handgelenk und zog mich wieder an Land.
Ich kam in Armands Armen zu mir. Tiefe Sorgenfalten zeigten sich in seinem Gesicht. Mühsam hob ich meine Hand an seine Wange, noch nicht wieder ganz Herr meiner Sinne. Sein Gesicht war so verändert. Etwas passte nicht hinein. Ich runzelte die Stirn, versuchte zu ergründen, was es war, und dann wurde mir bewusst, dass er ja hier in der Engelgrotte war, am hellen Tag. Dass es seine Augen waren, die nicht zu seinem Gesicht passten, weil sie silbrigweiß strahlten.
„Du hast das Elixier genommen?“
„Als ich nach Gorlem Manor kam, sagte Saphyro, was geschehen ist und dass du befürchtest, Dracon könnte Leonardo töten. Ich hatte Angst um dich, da konnte ich nicht anders.“
„Wo bist du überhaupt gewesen?“ Mir war seine Abwesenheit zwar aufgefallen, nur hatte ich bislang andere Dinge im Kopf gehabt, um mir darum Gedanken zu machen.
„Nicht so wichtig“, wich er mir aus. „Hauptsache, ich war rechtzeitig hier.“
„Du hast Dracon verletzt. Ich hab es gesehen. Ist er …?“
„Nicht tot, kein Grund sich um ihn zu sorgen“, zischte Armand. Ich zuckte unter der Kälte seiner Worte zusammen. „Geflohen ist er. Cet lâche. Dieser Feigling! Das ist auch besser für ihn.“
Ich versuchte, aufzustehen, was mir beim zweiten Versuch und mit Armands Hilfe schließlich gelang.
„Ich muss zu Lucien. Ich muss es ihm sagen.“
Ein Zittern lief durch den Körper meines Liebsten. „Muss das wirklich sein?“ Meinte er diese Frage etwa ernst? Natürlich musste das sein. Jemand musste Lucien sagen, dass Leonardo tot war, auch wenn er es vermutlich schon wusste. „Es ist selten gut, der Überbringer von Hiobsbotschaften zu sein.“
„Lucien wird mich nicht für das bestrafen, was Dracon getan hat“, sagte ich entschieden. „Außerdem ist er schon wieder auf der Isle of Dark, das spüre ich. Das heißt, dass auch das Urteil über Ivanka endgültig gesprochen ist, und ich muss wissen, wie es lautet.“
Die Engelin trat neben uns. Sie hatte Leonardos Kopf behutsam zur Seite gelegt und hielt nun stattdessen die bewusstlose Krähe im Arm.
„Es
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