Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
Melissa würde von allein nicht rechtzeitig zurückkommen. „Ja, Camille. Ich werde noch heute nach Miami fliegen und sie holen.“
Er wollte noch etwas sagen, doch ihm fehlten die Worte. Camille verstand auch so.
„Es wird rechtzeitig sein, Franklin, keine Sorge. Ich werde durchhalten, bis sie kommt. Ich muss. Und ich kann.“
*
Lucien hatte längst gespürt, dass sein Dunkler Sohn der Fährte der Füchsin gefolgt war. Aber er tat nichts, um ihn wieder aus der Stadt zu jagen. Gab vielmehr vor, es nicht zu bemerken und ließ ihn gewähren.
Hayati
, sein Leben, seine große Liebe. Pascal. Welch Verrat hatten sie beide aneinander begangen. Er, indem er dem Jungen Das Blut gab, und Pascal, indem er sich abwandte und ihn für immer verließ, kaum dass er in die Nacht geboren war.
Doch die Jahrhunderte hatten die Schuldgefühle getilgt, die der Lord gegenüber dem verletzlichen Knaben aus einem Londoner Bordell haben mochte. Es war so lange her. Pascal hatte seinen eigenen Weg gefunden.
Er konnte sich schon denken, was in dem Kopf des Jungen vorging. Sicher hatte er einige Gedankenfetzen aufgefangen, die bestätigten, dass Melissa Ravenwood möglicherweise ihrer aller Schicksal sein konnte. Und ganz sicher schwebten ihm dabei andere Visionen vor als die tatsächlichen.
Eine Weile hatte Lucien überlegt, einzugreifen. Ehe seine kostbare Prinzessin Schaden nahm. Doch sein abtrünniger Spross hielt sich im Hintergrund. Folgte ihr nur, wie ein junger Hund. Beobachtete. Wartete. Und jetzt, nachdem sie dieser Daywalkerin begegnet war, wurde auch Lucien neugierig, was passieren würde. Ob Pascal tatsächlich mit Melissas Hilfe, freiwillig oder unfreiwillig, einen Weg finden würde, der alten Legende nachzujagen? Möglich wäre es. Wenn ja, dann spielte das Lucien zusätzlich in die Hände. Er könnte ein weiteres Mal als Retter und Held vor Melissa auftauchen. Ihr Vertrauen in ihn stärken und sie noch mehr an sich binden.
Oh, sie waren alle so perfekte kleine Spielfiguren. Man musste sie nur richtig platzieren, dann konnte man den Gegner schon bald schachmatt setzen.
Zurück nach Hause
Nun gut, er war hier. Aber noch lange nicht bei Mel. Die Isle of Dark, hatte Armand gesagt. Verdammt noch mal. Wie sollte er jetzt bloß auf diese Insel kommen? Franklin hatte fast jeden hier im Hafen gefragt und immer die gleiche Antwort erhalten. Dass man die Insel vom Wasser aus nicht erreichen konnte. Die Klippen ließen jedes Boot zerschellen. Außerdem bestand die Insel überwiegend aus Felsgestein, dass ringsherum über zwanzig Meter aus dem Meer hinaus ragte. Es gab keinen Strand, an dem man anlegen konnte. Keinen Hafen, keine Brücke oder ähnliches. Die Isle of Dark war nichts als ein riesiger Fels mitten im Meer, auf dem irgendein exzentrischer Milliardär und Künstler eine mittelalterlich anmutende Burg hatte bauen lassen.
Wie das vonstatten gegangen war, konnte niemand sagen. Nur, dass heutzutage lediglich geladene Gäste dorthin kamen, wenn sie mit dem Helikopter am Hafen abgeholt wurden. Den Landeplatz kannte nur der Pilot, der den Heli flog. Von oben konnte man ihn nicht erkennen, wenn man nicht wusste, dass er da war. „Un wenn Se nich von dem Typ eingeladen sin, kommen Se auch nich hin. Dann nimmt der Heli-Fritze Se einfach nich mit“, hatte ihm einer der Hafenarbeiter erklärt und seine Kollegen hatten zustimmend genickt.
Exzentrischer Milliardär. Franklin wusste nicht, ob er darüber lachen oder weinen sollte. Obwohl es natürlich der Wahrheit entsprach. Ein Milliardär war der Lord zweifellos. Und exzentrisch ebenfalls. Auf gewisse Weise.
Müde von dem langen Flug, von der Sorge um Camille und der Verzweiflung, weil es ihm vielleicht nicht gelingen würde, Mel rechtzeitig nach Gorlem Manor zu bringen, damit sie ihre Lehrerin noch einmal sah, wanderte Franklin am Hafen entlang. Er musste einen Weg finden, dorthin zu kommen. Er musste einfach.
Wie ein göttlicher Wink wurde er auf einmal von etwas geblendet, dass die allmählich untergehende Sonne reflektierte. Er beschattete seine Augen mit der Hand und blickte sich nach der Ursache um. Keine zehn Meter entfernt spiegelten sich die hellen Strahlen in den blank geputzten Scheiben einer schwarzen Yacht, auf der in riesigen roten Lettern ‚Isle of Dark’ stand.
Das gleiche galt auch für den Helikopter, der auf einem runden Plateau am Oberdeck des Schiffes darauf wartete, wieder zur Insel zu fliegen. Der Pilot, ein breitschultriger gutaussehender
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