Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
der Blutdurst völlig in den Hintergrund tritt. Arzt ist meine Berufung. Das Leben meiner Patienten steht über allem, besonders über meinem Hunger. So halte ich den Vampir in mir unter Kontrolle. Aber ich liebe es, ihm freie Hand zu lassen, wenn mein Dienst zuende ist“, bemerkte er mit einem diabolischen Lächeln. Ich hätte mich in ihn verlieben können, wenn er nicht aus Tizians Linie gewesen wäre.
Andy startete den Motor, als er uns kommen sah. Ich wollte mich gar nicht verabschieden, aber da wir beide in Kürze besser die sichere Zuflucht unserer Schlafstätten aufsuchten, blieb mir nichts anderes übrig. Steven nahm meine Hand und sah mich mit einem spitzbübischen Lächeln an, das ihn viel jünger erscheinen ließ. Der Gedanke brachte mich auf die Frage, wie alt er wohl wirklich sein mochte.
„Ich würde dich gern wiedersehen, Melissa“, sagte er. „Vielleicht mal auf einen Drink an meinem nächsten freien Abend?“
„Gern.“
Er küsste mich zum Abschied auf die Wange und mein Herz machte einen Sprung, doch dann drängte sich Armands Bild vor mein inneres Auge und ich spürte einen tiefen Stich im Herz. Ich konnte noch immer nicht verstehen, warum er gegangen war und vermisste ihn schmerzlich. Schweren Herzens kämpfte ich die fruchtlose Sehnsucht nieder und wandte mich ab.
„Der Abend hat dir gut getan“, bemerkte Lucien vom Balkon herab und hob wissend eine seiner fein geschwungenen Brauen. „Denke daran, Tizians Blut.“
Ich nickte wortlos und begab mich in meinen Schlafraum, ohne noch einmal bei ihm im Speisezimmer vorbeizuschauen.
Steven und Lucien waren so unterschiedlich, wie man es sich nur vorstellen konnte. Lucien, der exzentrische Millionär mit seinen edlen Gewändern und Designerklamotten, seinen Besitztümern, der Dienerschaft, dem Helikopter und der Limousine mit den abgedunkelten Fenstern, die es ihm erlaubten, sogar bei hellem Tageslicht durch Miamis Straßen zu fahren.
Steven dagegen hatte von einem Appartement erzählt und von seiner Kawasaki Ninja, mit der er bei Nacht gern durch die Straßen der City heizte. Er hatte ein Faible für Jeans und Leder. Ein lässig moderner Mann, der ganz in seiner Arbeit aufging und im Miami Medical bei Patienten und Kollegen gleichermaßen geschätzt war. Immerhin hatte er in nur fünf Jahren die Stelle des leitenden Chirurgen in der Notaufnahme erlangt. Er arbeitete hart, sah den Job als Berufung und das Retten von Menschenleben als Ausgleich zu seinem Vampirdasein. Er bemühte sich, so sterblich wie möglich zu leben, nicht aufzufallen, begnügte sich neben dem Motorrad mit einem gebrauchten Ford Maverick als fahrbaren Untersatz und ging nach Dienstschluss gerne mit den Kollegen noch mal in eine Bar.
Während Lucien für gewöhnlich keine normale Nahrung, Alkohol oder Zigaretten angerührt hätte, pflegte Steven oft mit Kollegen essen zu gehen. Er trank gern, vor allem Whisky, und rauchte mehrere Schachteln Zigaretten pro Nacht. Steven wirkte ganz normal. Lucien umgab beständig die Aura des Überirdischen. Die beiden waren wirklich so gegensätzlich wie Feuer und Wasser.
Ich dachte noch lange über Dr. Steven Blenders nach und ob es klug war, ihn bald wiederzusehen. Ohne Luciens wachsames Auge auf uns.
Über die Dächer schleicht der Dieb
Goshwa Argres knüllte den Zettel in seiner Hand zusammen und warf ihn in den Rinnstein. Er kannte sein Ziel, es lag genau vor ihm. Das Papyrusmuseum in Wien beherbergte eine Schriftrolle, die bisher nicht entziffert werden konnte. Goshwa grinste zynisch. Dass selbst dieser dämliche Orden noch nicht dahintergestiegen war. Auf der Schriftrolle war ein verborgener Weg zum Tor von Darkworld beschrieben, bei dem man nicht an den gefährlichen sieben Wächtern, purpurne Serpenia-Schlangen, vorbei musste. Außerdem enthielt sie Instruktionen, wie das Tor zu öffnen war und wie mit dem Bannkristall von Rugrewon die Kreaturen, die hinter dem Tor lauerten, in Schach gehalten werden konnten. Ohne dieses Wissen konnte die Öffnung von Darkworld ein gefährliches Unterfangen werden, denn dort residierten einige unangenehme Zeitgenossen. Außerdem war zu bedenken: Wer hat schon gute Laune, wenn er seit Hunderten von Jahren eingesperrt ist?
Das Papyrusmuseum war ein Teil der Österreichischen Nationalbibliothek, hatte aber einen separaten Eingang. In der Abteilung für Magie wurde das Exponat wegen seines Alters und der Empfindlichkeit in einer Glasvitrine ausgestellt. Goshwa hatte eine Vakuumröhre
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