Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Fassung zu bringen.
„Aber … du kannst doch nicht …“
„Natürlich kann ich. Ich habe ein ebensolches Anrecht darauf wie jeder andere. Solange ich dem Orden diene, habe ich mir noch keine Auszeit genommen. Und da man offenbar momentan auf meine Arbeit verzichten kann, halte ich es für einen sehr guten Zeitpunkt, dies jetzt nachzuholen.“
„Wieso jetzt?“ Entsetzen und Wut wechselten sich auf dem Gesicht des jungen Mannes ab. Er fühlte sich im Stich gelassen, überfordert, obwohl er den Posten gern gehabt hätte und sich die ersten beiden Tage regelrecht darin suhlte, das Sagen auf Gorlem Manor zu haben.
„Ich habe es nie gewagt, mich meinen Pflichten als Vater dieses Ordens zu entziehen. Jetzt, wo jemand anderer mir diese Pflichten entzogen hat, fühle ich mich erstaunlich befreit. Mir ist bewusst geworden, was ich vermisst, womöglich auch versäumt habe. Die Entscheidung des Tribunals wird mindestens noch einen Monat auf sich warten lassen. Ich kenne die Abläufe. Warum soll ich diese Zeit nicht nutzen?“
Maurice hätte am liebsten abgelehnt. Darauf war Franklin vorbereitet. Sollte sich sein Stellvertreter weigern, die Reise zu genehmigen, wusste er, wie er dies einfordern konnte. Das dauerte zwei Tage, immer noch rechtzeitig genug, um mit Mel und Armand nach Neuguinea zu reisen.
„Wo willst du überhaupt hin?“
Franklin lächelte. „Nun, da es ein offizieller Urlaub ist, bin ich nicht verpflichtet, Auskunft zu geben und möchte es auch nicht. Ich brauche Abstand, muss mir über einige Dinge klar werden.“
„Hat deine Tochter etwas damit zu tun?“
Lächelnd beugte sich Franklin über den Tisch und sah auf Maurice hinab. „Auch das ist irrelevant. Ich werde jetzt nach oben gehen und meinen Koffer packen. Du wirst ohne mich zurechtkommen müssen.“
Damit setzte er Maurice’ Einverständnis voraus. Widerspruch erhielt er nicht, sein Vertreter war zu perplex. Auf dem Flur kam ihm Vicky entgegen, der er bereits am frühen Morgen seine Entscheidung mitgeteilt hatte.
„Und? Hat er zugestimmt?“
„Ich weiß es nicht. Ich denke, er muss erst darüber nachdenken. Hilfst du mir beim Packen?“
Während sie die wichtigsten Dinge in eine Tasche räumten, redete Vicky wie ein Wasserfall, worüber Franklin froh war. Er hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, dachte an die bevorstehende Reise und was ihn erwarten mochte. Die Entscheidung war ihm nicht leicht gefallen, er hatte es sich gut überlegt, auch wenn es nicht so aussehen mochte. Neben der Sorge um seine Tochter gab es noch weitere Gründe. Der innige Wunsch, bei ihr zu sein – sie nicht im Stich zu lassen wie einst ihre Mutter. Er vergab es sich bis heute nicht, dass Joanna gestorben war, fragte sich immer wieder, ob er es hätte verhindern können, wenn er zu ihr gegangen wäre, als sie sich noch mit Lilly versteckt hielt. Eine gemeinsame Flucht hätte ihr Leben gerettet. Doch Joanna und weglaufen? Niemals. Darin war Melissa ihrer Mutter sehr ähnlich. Aber bei ihr sein. Das war ihm wichtig.
Ein weiterer Grund waren die Verhältnisse im Orden. So sehr es ihn schmerzte und beunruhigte, Gorlem Manor in Maurices Händen zurückzulassen, ihm war klar geworden, dass der Orden nicht mehr das war, wofür er seinen Schwur abgelegt hatte. Schon Camille hatte das kurz vor ihrem Tod zu bedenken gegeben. Zerfressen von Machtgier fehlte die Einheit, fehlte Respekt vor dem Andersartigen. Die Missionen hatten sich verändert in den letzten Jahren. Ihre Aufzeichnungen waren nur noch halbherzig. Immer häufiger mischten sie sich ein, um eine Seite – meist die der PSI-Wesen – in die Schranken zu weisen, statt wie früher zu vermitteln. Die Aktivitäten im Paranormalen Untergrund waren auch auf das Versagen der Ashera-Ordenshäuser zurückzuführen.
Und nicht zuletzt flüchtete er vor Lucien. Im Moment erfüllte ihn Zorn, wenn er an den Lord dachte. Doch würde es von langer Dauer sein, wenn der Vampir sich ihm wieder näherte? Ihn mit Küssen bedeckte, ihn seinen Speer fühlen ließ? Oder den kalten Stahl des Dolches? Ihn schauderte – auch vor sich selbst.
„Alles in Ordnung, Franklin?“ Vicky blickte ihn besorgt an.
„Ja. Ich denke, wenn ich Gorlem Manor nachher hinter mir lasse, wird es mir besser gehen als in den letzten Monaten.“
Das bedrückte die Irin, doch er wusste nicht, wie er es sonst in Worte fassen sollte. Gorlem Manor war sein Heim, aber auch langsam sein Gefängnis geworden. Er konnte das Gefühl nicht begründen. Vielleicht
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