Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
er bewusst, sich von seinem dunklen Vater zu unterscheiden. Und er hatte es genossen.
Das letzte Mal, wo er auf diese Art gejagt und den Tod seines Opfers hinausgezögert hatte, war ewig her. Er hielt sich schon viel zu lange zurück. Natürlich wusste er, warum. Dass er hoffte, in Melissas Ansehen zu steigen, wenn er seine Triebe kontrollierte und den Hunger nach Blut auf gnädige Weise stillte. Aber gebracht hatte es ihm nichts. Alle sahen weiterhin den bösen Buben in ihm. Er war es leid, um eine Gunst zu buhlen, die man ihm offenbar ohnehin nie gewähren würde. Unerwiderte Liebe schmeckt bitter, sie wärmt nicht.
„Ich glaube, es wird allmählich Zeit für deine nächste Lektion“, sagte er zu Warren und blickte auf die Stadt hinaus, die sich ebenso wie er und sein junger Schüler auf die Nacht vorbereitete.
Warren zeigte sich aufmerksam und interessiert. Seit seinem Fauxpas war er bemüht, diesen wieder gut und es seinem dunklen Vater recht zu machen. Dennoch zweifelte Dracon, ob das, was er plante, seinen Zögling nicht abschrecken würde. Eine Bewährungsprobe für den Dämon in ihm.
Entgegen den Gewohnheiten der letzten Tage, in denen Dracon großen Wert auf ein verführerisches Aussehen gelegt hatte, um leichter an ein Opfer zu kommen, wählte er heute zweckmäßige Garderobe, die ihn außerdem gefährlich und düster wirken ließ. Optische Spielereien dieser Art mochte er immer schon. Auch Warren wurde entsprechend ausgestattet. Schwarz, Leder auf nackter Haut, Lippen und Augen dunkel geschminkt. Zufrieden begutachtete er sie beide im Spiegel. Jetzt entsprach er wieder dem, was Warren in ihm sah.
„Wir werden die Jagd heute wörtlich nehmen“, erklärte er. „Bleiben in den Schatten und suchen ein Opfer, das wir hetzen, bis es nicht mehr fliehen kann.“
In Warrens Augen spiegelte sich eine Mischung aus Schreck und Erregung. Er verstand, dass es diesmal um mehr als Blut ging. Nicht die schlechteste Ausgangslage.
Wenn die Verdeutlichung seiner Pläne Warren ängstigte oder ekelte, so merkte man ihm das nicht an. Im Gegenteil. Er war nicht sicher, ob er sich nur wieder bei ihm einschmeicheln wollte oder ob der Dämon tatsächlich so viel Kraft in ihm erlangt hatte. Auf jeden Fall war Warren bei der Sache, achtete auf die Attribute, die einen Menschen zum perfekten Opfer ihrer heutigen Jagd machten. Weiblich, jung, unsicher und vor allem allein.
Sie huschten über Häuserdächer, spähten aus Hauseingängen und Hinterhöfen und verständigten sich telepathisch miteinander. Hier zeigte sich Warrens Unerfahrenheit, denn auch wenn jemand auf den ersten Blick geeignet schien, verriet ein tieferer Blick in die Seele Dracon schnell, dass es noch längst nicht das war, was er suchte.
In der Piazzale Flaminio nahe dem Eingang zum Park der Villa Borghese entdeckte er sie dann. Eine Studentin, neunzehn und fernab der Heimat. Neu und daher noch ohne Freunde. Sie war allein unterwegs, trug einen Stapel Bücher unter dem Arm. Vielleicht wollte sie noch in den Park, auch wenn das nicht ungefährlich war. Selbst dann, wenn man Vampire außer Acht ließ. Ein zufriedenes Lächeln glitt über Dracons Gesicht. Sie war perfekt.
Er gab Warren ein Signal und folgte ihr lautlos. Tatsächlich bog sie in den Park ein, spielte ihnen in die Hände. Leichter ging es kaum mehr. Das Mädchen steuerte gezielt einige der Statuen und Brunnen an und skizzierte diese, machte sogar ein paar Fotos. Vermutlich eine Kunststudentin. Manche von denen hatten einen Hang zur Nacht, weil die Bilder dann einen bestimmten Ausdruck bekamen. Er ließ sie keine Sekunde aus den Augen. Warren schloss sich ihm an, auch in seine Augen trat die Gier des Jagdfiebers. Ein schlanker Leib mit weiblichen Rundungen. Dracon konnte sich bereits ausmalen, wie sie sich unter ihm winden würde, ihr Herz im Stakkato schlug vor Angst.
Als er zu Warren schaute, leckte der sich gierig über die Lippen, war schon nicht mehr in dieser Welt. Er durfte auf keinen Fall vorschnell agieren und damit den Erfolg vereiteln. Darum packte Dracon ihn am Arm.
„Du hältst dich zurück. Schneide ihr nur den Weg ab, wenn sie vor mir flieht. Erschreck sie und mach ihr Angst, aber rühr sie nicht an, bis ich es dir sage, verstanden?“
Warren nickte mechanisch ohne Dracon anzusehen. Seine Nägel bohrten sich in Warrens Fleisch, erst da zuckte er zusammen und riss sich von dem Anblick los. „Ja, verstanden.“
„Gut!“
In einem Bogen näherte er sich seinem Ziel. Ob sie
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