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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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sollte sie den Streit schlichten, und doch dabei auch auf die älteste Tochter horchen, die auf ihrem Knie Vossens Louise ihr vorlesen musste. Das Kind kam mit den Hexametern selten zurecht und gähnte oft.
    Der Minister richtete respirirend den Blick aufwärts nach den reifenden Trauben am Laubendach.
    »Du hast wohl recht schwer zu arbeiten,« sagte die Ministerin. »Du solltest Dich schonen.«
    »Mir war es eben, als wäre ich noch in Florenz. So schwebten auch die Trauben von unserer Veranda. Und dieser Wiesenhauch! Als wehte es von Fiesole her, und der Arno plätscherte unter mir.«
    »Ich weiß nicht, ob mir nicht dieser Heugeruch lieber ist, als der Duft der Orangen. Ist es überhaupt Recht, daß Du so oft dahin zurückdenkst? Solche Vergleiche stören die Heiterkeit der Seele. Wir sind doch einmal in diesem Lande, es ist auch hier schön, und wir sind zufrieden und glücklich, und –«
    »Und,« fiel er ein, ihr die Hand reichend:
     
    »Süße heilige Natur
    Laß uns gehn auf deiner Spur,
    Leite uns an deiner Hand
    Wie ein Kind am Gängelband.«
     
    Die Ministerin accompagnirte die Stollberg'schen Verse durch eine stumme Lippenbewegung, indem sie andächtig in die Luft schaute. Dann zählte sie die Maschen, sie hatte eine verloren. Der Kanzleidiener räusperte sich umsonst. Das Ehepaar war in sein stilles Glück versunken, und in Betrachtungen, warum Leopold Stollberg katholisch geworden.
    Die Frau Ministerin wusste diesmal nicht, warum der Minister respirirend schwer den Blick nach den Trauben gerichtet, warum er das
Citissime
drei Mal durchlesen hatte, ohne zu wissen, was darin stand, warum er wie ein Träumer auf das Schweizergeläut hörte, kurz, warum er in der elegischen Stimmung war.
    Vor einer Stunde hätte man ihn in seinem Arbeitszimmer in einer ganz anderen gefunden. Eine Nachricht hatte ihn aus seiner Ruhe gebracht! Er hatte laut für sich gerufen: »Dann ist Alles aus! Dann gehen wir Alle unter!« Er hatte nach seinem Kammerdiener und Jäger geschellt: »Anspannen und ankleiden!« Er wollte an den Hof fahren, selbst der Majestät die dringendsten Vorstellungen zu Füßen legen. Er hatte schon die Hofbeinkleider an und der Kammerdiener nestelte die Schnallen, als er ihn wieder hinaus schickte; er wollte sich einen Augenblick ausruhen. Auf das Sopha sich niederlassend, löste er unwillkürlich die Bandschnalle. Es war so heiß! »Wozu sich denn auch persönlich den Aerger bereiten!« Es wäre doch möglich, daß er mit dem Könige aneinander gerieth. Das fruchtet ja zu nichts! Er konnte schriftlich seine Gründe aufsetzen, warum der Mann, dessen Name ihn so erschreckt, nicht zum Minister tauge.
    Er hatte wieder geklingelt, und der Kammerdiener ihn entkleiden müssen. »Und die Equipage, Excellenz?« – »Ausspannen!« Der Sekretär hatte die Schreibmaterialien zurecht legen müssen, der beste und fertigste Kopist in Bereitschaft stehen. Der Kopist hatte eine Stunde mit eingetauchter Feder bereit gestanden, es standen aber erst zwei und eine halbe Zeile auf dem Konzeptbogen.
    Der Minister saß auch gar nicht mehr am Schreibtisch, er saß zurückgelehnt auf dem Sopha. »Entweder es ist, oder es ist nicht,« dachte Seine Excellenz. »Wenn es nicht so ist, so ist es gut, wenn es ist, so ist es vielleicht auch gut,« – gähnte er, von der Hitze im Zimmer übermannt – »dann ist doch das Ende vom Liede, daß wir unsere Entlassung nehmen müssen.« Weshalb sich für diese Eventualität noch mit einem schwierigen und kitzlichen Memoire befassen, es kann der Griff in ein Wespennest werden, und an stechenden Insekten fehlte es ohnedies nicht. Eine unverschämte Bremse schwirrte unermüdlich um seine heiße Stirn.
    Der Sekretär hatte sich lächelnd von der Thür, an der er gelauscht, an sein Pult begeben, und der Kopist auch lächelnd seine Feder ausgewischt, als man den Minister endlich sah, mit dem Battisttuch sich Luft wedelnd, sich ins Freie zu begeben. Beim Durchgehen hatte er verordnet, die Akten ihm in die Laube zu tragen.
    Die stille Scene glücklicher Häuslichkeit, in welcher die Sorgen von vorhin schon verschwunden schienen, hatte aber noch einen Beobachter. Der Geheimrath Bovillard stand unfern von dem Eingang der Laube, den Hut im Arm und die Arme gekreuzt. Eine Pause benutzend, trat er mit einigem Geräusch vor.
    »Sie haben uns wohl belauscht, lieber Bovillard,« sagte die Ministerin. »Das ist nicht recht; wer zur Familie gehört, der muß nie zu stören fürchten.«
    Er wollte ihre

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