Ruhe Sanft
habe nur darüber nachgedacht, wie eigenartig das Leben ist. Irgendwie ist es beinahe eine Erleichterung für mich, daß Peepsie ein Mordopfer war anstatt eine Selbstmörderin. Ist das keine Ironie?«
»Eigentlich nicht.« Carlos stellte seinen leeren Teller auf den Tisch und machte sich an Wetzons nicht angerührte Portion. »Wenigstens wissen Sie, daß Ihre Freundin nichts getan hat, was so ganz gegen ihre Art war, auch wenn sie krank war.«
Hazels Blick verschwamm wieder. Dann, als sei ihr plötzlich wieder eingefallen, daß sie Besuch hatte, sagte sie: »Oje, ich habe gerade über etwas nachgedacht, das ich morgen tun möchte. Du meine Güte.« Sie blickte gequält. »Ich lasse genauso nach wie Peepsie.« Sie aß den Kuchen und das Eis zu Ende und stellte den Teller auf den Boden neben sich. »Ich bin so vergeßlich.« Hinter den Augen verbarg sie ein Lächeln.
»Sie sind überhaupt nicht vergeßlich, und das wissen Sie genau.« Wetzon hob stirnrunzelnd den Teller auf.
»Oho!« rief Carlos, der das Wechselspiel beobachtete. »Da haben wir ja noch eine Geheimniskrämerin. Eine Verschwörerin.« Er zog seine Schuhe an. »Ich breche schrecklich ungern gerade jetzt auf, aber wir Mädchen brauchen unseren Schönheitsschlaf, damit wir morgen nicht so abgekämpft aussehen.« Er stellte die Teller aufeinander und verschwand in die Küche. Hazel und Wetzon hörten das Wasser in der Spüle laufen.
»Sie wollen mir nicht sagen, was Sie Vorhaben, wenn ich Sie recht verstehe?«
»Vorerst noch nicht. Ich möchte es selbst lösen. Aber ich verspreche Ihnen, daß ich es erzähle, wenn ich soweit bin.«
Mehr konnte Wetzon nicht aus ihr herausbekommen, bevor sie gingen.
»Ich mache mir Sorgen«, sagte sie zu Carlos, als sie wieder in Michael Stewarts Taxi saßen. »Ich glaube, als ich ihr meine Theorie über den Privatpflegedienst und den Betrug mit den Aktienzertifikaten erzählte, klingelte es irgendwann bei ihr.«
»Das muß nicht sein. Hazel ist viel schlauer als du, wenn sie etwas anpackt.«
»Ach, wirklich?« Darauf würde ich mich nicht verlassen, dachte sie, behielt aber ihre Gedanken für sich, weil sie an Michaels gespannter Haltung ablesen konnte, daß er sich außerordentlich dafür interessierte, was sie redeten.
Der Verkehr staute sich auf der Querverbindung zwischen East und West Side an der 86. Street, und sie saßen mitten im Park fünfzehn Minuten fest, ehe sich die Kolonne wieder in Bewegung setzte. Als sie zur Central Park West kamen, sahen sie, daß dort ein Unfall passiert war. Ein Taxi war auf der vereisten Straße nahe der Einmündung der Querverbindung in einen Stadtbus geschleudert. Ein uniformierter Polizist leitete den Verkehr um. Es sah trotz der vielen Scheinwerfer und Streifenwagen nicht so aus, als sei jemand verletzt worden, aber auf der Straße lag viel Glas auf dem Eis.
Vor Wetzons Haus war ein Platz frei. Michael Stewart parkte ein und schaltete die Scheinwerfer und den Motor aus.
»Wie schön«, rief Carlos aus. »Sie meinen, ich muß in dieser kalten Nacht ganz allein zu Fuß nach Hause gehen?«
»Mann, Michael, können Sie nicht rasch Carlos... Carlos, gehst du in Arthurs Wohnung?«
»Wohin sonst?«
»Können Sie ihn nicht rüber zur West End und...?«
»90. Street.«
Michael Stewart antwortete nicht. Er nahm eine Schildmütze vom Sitz neben sich und setzte sie auf.
»Anscheinend nicht, Carlos.«
»Auch gut.«
Sie stiegen über einen Hügel aus gefrorenem Schnee auf den freigeschaufelten Bürgersteig und blieben unter Wetzons Markise stehen. »Gute Nacht, Häschen. Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.« Sie küßte ihn zwischen die Augen, und er bebte entzückt.
»Ich habe vier Worte für dich«, flüsterte er ihr mit sexy Stimme ins Ohr.
»Und die sind?«
»Kaufe billig, verkaufe teuer.«
»Du bist schrecklich.« Sie stieß ihn weg und sah ihm nach, wie er kurz winkte und davonstapfte.
Javier hielt ihr die Innentür auf. »Vor kurzem war eine Dame hier, die zu Ihnen wollte«, sagte er.
»Ach ja? Hat sie ihren Namen hinterlassen?«
»Sie sagte...« Er zuckte die Achseln. »Ich habe es vergessen.«
»Wie hat sie ausgesehen?«
»Große schwarze Dame. Sehr nett. Sie hat eine Weile gewartet, dann ist sie gegangen.«
»Verflixt.« Konnte das wieder diese Diantha Anderson gewesen sein? Sie war die einzige große schwarze Frau, die Wetzon kannte. »War der Name Ms. Anderson?«
»Ja, genau.«
Was zum Kuckuck wollte diese Frau von ihr? Sie hatte die ganze Woche
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