Ruhe Sanft
bemerkte Wetzon sie schlüpfte in die Schuhe. »Und ich hier in meinem ewigen schwarzen Pullover...«
»Schlicht und ergreifend«, stichelte Smith.
»Ich glaube, ich erinnere mich an diese Show«, erwiderte Wetzon.
»Welche Show? Was redest du da, Wetzon?«
»Vergiß es, Smith. Du verstehst es doch nicht.« Wetzon war auf einmal erschöpft. Sie vergaß immer wieder, daß Smith’ Interessen dem Geldverdienen galten, nicht der Kunst. Und irgendwo, versteckt hinter der Hänselei »schlicht und ergreifend«, hätte Carlos eine Herabsetzung entdeckt. Sie hob den Kopf und ertappte Smith dabei, wie sie sie fixierte, als könne sie ihre Gedanken lesen.
»Komm jetzt«, sagte Smith, indem sie den Arm um Wetzon legte. »Ich möchte dir alle vorstellen. Du wirst sie bestimmt mögen. Und sei nicht so empfindlich.« Fast träge reckte sie sich und war noch größer als sonst. Sie trug sehr hohe Absätze, und Wetzon reichte ihr gerade bis zur Schulter.
»Alle einmal herhören, ich möchte euch meine liebste Freundin und Partnerin Leslie Wetzon vorstellen«, verkündete Smith im übervollen Zimmer. Es trat eine seltsame Stille ein, alle drehten sich nach Smith und Wetzon um, dann applaudierte jemand langsam.
»Leon, sei so gut, hole Wetzon einen Drink«, sagte Smith.
»Bier, Leon, und bitte schnell«, bat Wetzon. Sie kam sich vor wie auf einer Ausstellung. Was für eine eigenartige Reaktion. Als sie den Blick durch das Wohnzimmer Wandern ließ, bemerkte sie, daß alle ziemlich angetrunken waren.
»Ist sie nicht wunderschön heute abend?« Leon reichte ihr ein Glas und goß Heineken hinein. Er trug einen schwarzen Kaschmirsakko und eine gelbe Krawatte mit Foulardmusterung, und er schaffte es irgendwie, noch größer und linkischer zu wirken als sonst. Seine Brille saß auf der Nasenspitze, und das graue wollige Haar bauschte sich wie bei Einstein um seine Ohren.
»Sie ist immer schön, Leon«, antwortete Wetzon und beobachtete Smith, die sich glücklich in dem überfüllten Zimmer bewegte.
»Was meinst du, Wetzon?« flüsterte er laut. »Ich habe sie gebeten, meine Frau zu werden. Hat sie es dir verraten?« Er gestikulierte mit der halbleeren Flasche.
»Ja.« Wetzon nahm ihm die Flasche ab.
»Hat sie gesagt, wie sie sich entscheidet?« fragte er gespannt und beugte sich zu ihr vor.
»Nein, Leon.« Sie rückte von ihm ab. Er sah so geknickt aus, daß sie ehrlicherweise hinzufügte: »Aber sie schien sich darüber sehr zu freuen.«
Beklommen fragte sich Wetzon, wie es sein würde, wenn ihr gemeinsamer Anwalt der Mann der einen wäre. Es schien nicht in Ordnung zu sein. Vielleicht sollten sie, falls Smith Leon heiratete, einen neutralen Anwalt nehmen.
»Leon, Liebling, komm hier rüber«, rief Smith, und Leon ging mit federnden Schritten zu ihr.
Wetzon seufzte. Sie sah einen leeren Platz auf dem Sofa gegenüber und steuerte darauf zu, indem sie sich an den ach so bezaubernden Menschen vorbeiquetschte. Alle Frauen waren mit Perlen und Pailletten geschmückt, die Männer trugen dunkle Anzüge. Eine dieser eleganten Damen verschüttete ein Getränk auf Smith’ Teppich und rubbelte es dann geziert mit der Spitze ihrer silbernen Sandale in den Flor. Nicht ganz so schöne Menschen, wenn man ein bißchen genauer hinsah.
»Was, wenn das nicht Wetzon-Wetzon ist, Headhunterin.« Die barsche Stimme war eine Herausforderung. Eine Hand schloß sich um ihren Arm.
Sie drehte sich um und blickte in das sonnengebräunte Gesicht, die blauen Augen von Jake Donahue. »Jake Donahue, falls Sie sich nicht erinnern«, stellte er sich vor.
»Wie könnte ich Jake Donahue vergessen?« erwiderte sie. Obwohl es eine Weile her war, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, war sie erschüttert, denn es war unter schrecklichen Umständen gewesen. Sie starrte auf seine Hand, die ihren Arm umschloß, dann wieder auf ihn. Er zog die Hand fort. Sie fand ihn immer noch irgendwie abstoßend und attraktiv zugleich. »Sie sehen sehr gut aus, Jake. Wann sind Sie rausgekommen?«
»Ts, ts, Wetzon-Wetzon, Gehässigkeit paßt nicht zu Ihnen.«
Jake Donahue hatte drei Monate bekommen, und er hatte in dem Skandal um die Rückkaufabsprachen, der seine Firma ruiniert hatte, alle anderen Beteiligten angeschwärzt. Drei Monate und eine milde Geldstrafe von hunderttausend Dollar, dazu eine dreijährige Verbannung aus der Wall Street. Man hatte ihm ein wenig auf die Finger geklopft, nicht mehr, wie Wetzon vermutet hatte. Er hatte eine angesehene Maklerfirma vom alten
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