Ruhig Blut!
die heilige Schildkröte von Om, die mir vermutlich Angst einjagen soll. Meine Güte. Nicht einmal eine gute Nachbildung. Billig hergestellt.«
Himmelwärts fand irgendwo Kraft. »Woher willst du das wissen, teuflischer Unhold?« fragte er mühsam.
»Nein, nein, solche Worte sind für Dämonen bestimmt«, seufzte der Graf.
Er gab Himmelwärts die Schildkröte zurück.
»Nichtsdestotrotz eine lobenswerte Mühe«, sagte er. »Wenn mir jemals der Sinn nach einer Tasse Tee, einem Brötchen und vielleicht sogar einem netten Singsang stehen sollte, werde ich deiner Mission bestimmt einen Besuch abstatten. Doch derzeit bist du mir im Weg.«
Er schlug den Priester so hart, daß Himmelwärts unter den Tisch rutschte.
»Soviel zur Frömmigkeit«, sagte er. »Jetzt fehlt nur noch das Erscheinen von Oma Wetterwachs. Es dürfte gleich soweit sein. Ihr glaubt doch nicht, daß sie damit gerechnet hat, ihr könntet Erfolg haben, oder?«
Das Pochen des großen, eisernen Türklopfers hallte durch den Saal. Der Graf nickte erfreut. »Das ist sie«, sagte er. »Ja, bestimmt. Sie legt immer Wert auf den richtigen Augenblick.«
Der Wind heulte, als die beiden Torhälften aufschwangen, wehte kleine Zweige, Regen und Oma Wetterwachs herein. Sie war vollkommen durchnäßt und schmutzig. Ihr Kleid war an mehreren Stellen zerrissen.
Agnes begriff, daß sie Oma Wetterwachs noch nie zuvor naß gesehen hatte, nicht einmal beim schlimmsten Unwetter, doch sie hatte keinen trockenen Faden am Leib. Wasser tropfte an ihr herab und hinterließ eine feuchte Spur auf dem Boden.
»Ich bin ja so froh, daß du gekommen bist, Frau Wetterwachs«, sagte der Graf. »Du hast einen langen Weg durch die Nacht hinter dir! Nimm am Feuer Platz und ruh dich ein wenig aus.«
»Ich werde mich hier nicht ausruhen«, erwiderte Oma.
»Dann möchte ich dir wenigstens etwas zu essen und zu trinken anbieten.«
»Ich werde hier weder essen noch trinken.«
»Was hast du dann vor?«
»Du weißt genau, weshalb ich gekommen bin.«
Sie sieht klein aus, sagte Perdita. Und auch müde.
»Ah, ja. Das Spiel der Macht. Der entscheidende Kampf. Das Markenzeichen der Wetterwachse. Und… mal sehen… Auf deiner heutigen Einkaufsliste steht ›Wenn ich gewinne, befreist du alle und kehrst nach Überwald zurück‹, stimmt’s?«
»Nein«, widersprach Oma. »Wenn ich gewinne, stirbst du.« Agnes stellte entsetzt fest, daß die alte Frau wankte.
Der Graf lächelte. »Ausgezeichnet! Aber… ich weiß, wie du denkst, Frau Wetterwachs. Du hast immer mehr als nur einen Plan. Hier stehst du nun, ganz offensichtlich nur einen Schritt vom Zusammenbruch entfernt, und doch… Ich bin nicht ganz sicher, ob ich glauben soll, was mir meine Augen zeigen.«
»Mir ist völlig schnuppe, was du glaubst oder nicht«, sagte Oma. »Aber du wagst bestimmt nicht, mich wieder gehen zu lassen, das weiß ich. Weil du nicht sicher sein kannst, wohin ich gehe und was ich unternehme. Ich könnte dich aus einem beliebigen Augenpaar beobachten und hinter jeder Tür stehen. Gewisse Leute und Geschöpfe sind mir den einen oder anderen Gefallen schuldig. Ich bin imstande, aus jeder Richtung zu kommen, zu jedem beliebigen Zeitpunkt. Und ich kann böse sein.«
»Ach? Wenn ich unhöflich wäre, könnte ich dich jetzt sofort töten. Ein einfacher Pfeil würde genügen. Feldwebel Svitz?«
Der Söldner winkte, was bei ihm einem Salutieren gleichkam, und hob die Armbrust.
»Bist du sicher ?« fragte Oma. »Ist dein Affe sicher, daß ihm Zeit genug für einen zweiten Schuß bleibt? Daß ich nach dem ersten nicht fort bin?« »Du bist kein Gestaltwandler, Frau Wetterwachs. Und alles deutet darauf hin, daß du derzeit nicht besonders gut laufen kannst.«
»Sie meint die Möglichkeit, ihr Selbst in einem anderen Kopf unterzubringen«, warf Vlad ein.
Die Hexen wechselten einen Blick.
»Entschuldige, Esme«, sagte Nanny einige Sekunden später. »Ich konnte den Gedanken nicht aus mir vertreiben. Offenbar habe ich nicht genug getrunken.«
»Oh, ja«, meinte der Graf. »Der berühmte Trick mit dem Borgen.« »Aber du weißt nicht wo, und du weißt auch nicht wie weit«, sagte
Oma müde. »Und der Kopf ist dir ebenfalls unbekannt. Du weißt nicht einmal, ob es überhaupt ein Kopf sein muß. Was du über mich erfahren hast, stammt aus den Gedanken anderer Personen, und die wissen nicht alles über mich. Längst nicht alles.«
»Du willst dein Selbst also an einem anderen Ort unterbringen«, sagte der Graf. »Primitiv.
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