Ruhig Blut!
Worte bedeuten.«
»Wie viele?«
»Etwa hundertsechzig seit dem Streit von zehn Uhr dreißig am dreiundzwanzigsten Februar. Bei der Gelegenheit spalteten sich die Wiedervereinigten Freien Chelonianer (Mittwärtige Konvokation) von den Wiedervereinigten Freien Chelonianern (Randwärtige Konvokation) ab. Es war eine sehr ernste Angelegenheit.«
»Haben sie Blut vergossen?« fragte Agnes. Eigentlich war sie gar nicht interessiert, aber es lenkte sie von der Frage ab, was praktisch jeden Augenblick erwachen konnte.
»Nein, doch es kam zu Faustkämpfen, und ein Diakon wurde mit Tinte bespritzt.«
»Eine ziemlich üble Sache.«
»Außerdem zog man an diversen Bärten.«
»Meine Güte.« Sektenfanatiker, kommentierte Perdita.
»Du machst dich über mich lustig«, sagte Himmelwärts ernst. »Nun, es klingt ein wenig… trivial. Streitet ihr immer?«
»Der Prophet Brutha sagte: ›Laßt zehntausend Stimmen erklingen‹«,
erwiderte der Priester. »Manchmal glaube ich, er wollte damit folgendes mitteilen: ›Ihr zankt besser untereinander, als Ungläubige zu verbrennen und zu enthaupten.‹ Es ist alles sehr kompliziert.« Er seufzte. »Es gibt hundert Wege zu Om. Leider glaube ich ab und zu, daß jemand eine Harke auf vielen Pfaden zurückgelassen hat. Der Vampir hat recht. Wir haben unser Feuer verloren…«
»Das Feuer, in dem früher Leute verbrannten.«
»Ich weiß… ich weiß…«
Aus den Augenwinkeln bemerkte Agnes eine Bewegung.
Dampf kam unter der Decke hervor, die sie über Oma Wetterwachs
gelegt hatten.
Als Agnes genauer hinsah, zuckten Omas Lider nach oben, und ihre Augen glitten von einer Seite zur anderen.
Ihre Lippen zitterten kurz.
»Wie geht es dir, Frau Wetterwachs?« fragte Hilbert Himmelwärts in munterem Tonfall.
»Was ist das für eine Frage?« raunte Agnes. »Sie wurde von einem Vampir gebissen!«
»Eine solche Frage ist immer noch besser als ›Was bist du?‹« flüsterte Himmelwärts.
Omas Hand bewegte sich. Ihre Lippen zitterten erneut. Der Leib stemmte sich den Stricken entgegen und sank dann auf die Matratze zurück.
Agnes berührte Omas Stirn und zog die Hand sofort wieder zurück. »Sie verbrennt regelrecht! Festgreifaah! Bring Wasser!«
»Bin schon unterwegs, Fräulein!«
»O nein…«, hauchte Himmelwärts. Er deutete auf die Stricke, die wie
Schlangen hin und her krochen, als sich die Knoten wie von Geisterhand berührt lösten.
Mit einer Mischung aus Rollen und Fallen verließ Oma Wetterwachs das Bett und landete auf Händen und Knien. Agnes wollte ihr aufhelfen und kollidierte mit einem Ellenbogen, der sie auf die andere Seite des Zimmers schickte.
Oma zog die Tür auf und kroch nach draußen in den Regen. Als die Tropfen sie trafen, verharrte sie kurz und schnaufte. Agnes glaubte, ein Zischen zu hören.
Die Hände der alten Hexe rutschten zur Seite. Sie sank in den Schlamm und versuchte, sich wieder in die Höhe zu stemmen.
Blaugrünes Licht fiel durch die offene Tür des Vogelhorts. Agnes sah zurück. Festgreifaah beobachtete ein Marmeladenglas, in dem ein Punkt aus weißem Licht von einer hellblauen Flamme umgeben war, die ein ganzes Stück aus dem Glas herauswuchs und dabei flackerte und pulsierte.
»Was ist das ?«
»Meine Phönixfeder, Fräulein! Sie brennt heller als jemals zuvor!«
Draußen war es Himmelwärts gelungen, Oma auf die Beine zu bringen. Er schob eine Schulter unter ihren Arm.
»Sie hat etwas gesagt«, brachte er hervor. »›Ich bin‹, glaube ich…«
»Sie könnte eine Vampir sein!«
»Gerade hat sie’s wiederholt. Hast du es nicht gehört?«
Agnes näherte sich, und plötzlich fühlte sie Omas Hand am Oberarm.
Von den Fingern ging eine Hitze aus, die Agnes selbst durch den nassen Stoff ihres Kleids spürte, und ein Wort verlor sich fast im Prasseln des Regens.
»Eisen?« fragte Himmelwärts. »Hat sie ›Eisen‹ gesagt?«
»Die Schloßschmiede ist direkt nebenan«, meinte Agnes. »Bringen wir sie dorthin.«
Die Schmiede war dunkel und kalt – in ihr wurde nur dann ein Feuer entzündet, wenn Arbeit erledigt werden mußte. Sie führten Oma hinein, und dort sank sie auf die Steinplatten.
»Aber Eisen nützt doch nichts gegen Vampire, oder?« fragte Agnes. »Ich habe nie gehört, daß man Eisen verwendet…«
Oma gab ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen Schnauben und Knurren angesiedelt war. Auf allen vieren kroch sie über den Boden und hinterließ dabei eine Schlammspur, bis sie den Amboß erreichte.
Eigentlich war es nur ein
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