Ruhig Blut!
griff nach dem Arm ihres Gemahls.
»Oh, das erinnert mich so sehr an unsere Flitterwochen«, sagte sie.
»Weißt du noch, die wundervol en Nächte in Grjsknvij?«
»Oh, damals hatten wir das Gefühl, uns läge die ganze Welt zu Füßen«,
sagte der Graf feierlich.
»Soviel Romantik… Und wir haben wundervol e Leute kennengelernt.
Erinnerst du dich an Herrn und Frau Harker?«
»Oh, ich verbinde sehr angenehme Erinnerungen mit ihnen. Sie haben
uns fast eine Woche lang gereicht. So, und jetzt hört alle gut zu. Heilige
Symbole bereiten uns keine Schmerzen. Weihwasser ist einfach nur Wasser – ja, ich weiß, aber Kryptopher war nicht richtig konzentriert. Knob-
lauch ist nur ein weiterer Vertreter der Lauch-Familie. Tun uns Zwiebeln
weh? Fürchten wir uns vor Schalotten? Nein. Wir sind nur ein bißchen
müde, das ist alles. Malicia, gib dem Rest des Clans Bescheid. Wir gön-
nen uns einen kleinen Urlaub von der Vernunft. Und nachher, am Mor-
gen, gibt es eine neue Weltordnung, und ich kann dies alles nicht mehr
zulassen…«
Er rieb sich die Stirn. Der Graf war stolz auf seinen Verstand und
pflegte ihn mit großer Sorgfalt. Aber jetzt fühlte sich sein Ich entblößt
an. Er war nicht sicher, daß er richtig dachte. Die alte Wetterwachs
konnte sich doch nicht in seinem Kopf versteckt haben? Er hatte über
Hunderte von Jahren Erfahrungen gesammelt. Es war ausgeschlossen,
daß ihn irgendeine Dorfhexe überlistete. Völlig undenkbar…
Sein Hals war wie ausgedörrt. Wenigstens konnte er diesmal dem Ruf
seiner Natur folgen. Obwohl er ihn jetzt als seltsam beunruhigend emp-
fand.
»Haben wir… Tee?« fragte er.
»Was ist Tee?« erwiderte die Gräfin.
»Äh… er wächst an einem Strauch, glaube ich«, antwortete der Graf.
»Beißt man hinein?«
»Nein, man… taucht ihn in heißes Wasser.«
Der Graf schüttelte den Kopf und versuchte, sich von diesem dämoni-
schen Bedürfnis zu befreien.
»Während er noch lebt?« fragte Lacrimosa. Ihre Miene erhel te sich.
»… süße Kekse…«, murmelte der Graf.
»Du solltest dich zusammenreißen, Schatz«, sagte die Gräfin.
»Dieser… Tee«, ließ sich Lacrimosa vernehmen. »Ist er… braun?«
»Ja«, flüsterte der Graf.
»Als wir in Eskrau waren und ich einen der Menschen beißen wollte,
hatte ich plötzlich eine gräßliche Vision«, erklärte Lacrimosa. »Ich sah
eine Tasse, die mit dem schrecklichen Zeug gefül t war.«
Der Graf schüttelte sich.
»Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, sagte er. »Ich schlage vor, wir hal-
ten uns an die Dinge, die wir kennen. Gehorchen wir unserem Blut…«
Das zweite Opfer im Kampf um das Schloß war Vargo, ein dürrer junger
Mann, der zum Vampir geworden war, weil er glaubte, dadurch interes-
santen Mädchen zu begegnen – oder überhaupt irgendwelchen Mädchen
–, und weil man ihm gesagt hatte, Schwarz stünde ihm gut. Und dann
mußte er feststellen, daß die Aufmerksamkeit eines Vampirs vor allem
der nächsten Mahlzeit galt, und bisher hatte er den Hals nicht für die
faszinierendste Körperstel e eines Mädchens gehalten.
Derzeit wol te er nur noch schlafen. Als die Vampire ins Schloß dräng-
ten, wandte sich Vargo von den anderen ab und schlenderte in Richtung
Kel er, wo ihn ein hübscher, bequemer Sarg erwartete. Er war natürlich
hungrig, denn in Eskrau hatte er nicht mehr bekommen als einen Fuß-
tritt gegen die Brust, doch sein Selbsterhaltungstrieb blieb groß genug,
um die Jagd den anderen zu überlassen – er konnte später zu ihnen sto-
ßen, wenn eine sichere Mahlzeit in Aussicht stand.
Der Sarg ruhte mitten im halbdunklen Keller auf einem schlichten
Stützgerüst, und der Deckel lag achtlos auf dem Boden. Schon als
Mensch hatte sich Vargo nicht um sein Bettzeug gekümmert.
Als das Auge der Erzählung vom Sarg zurückglitt, geschahen zwei
Dinge. Das erste lief recht langsam ab: Vargo brauchte eine Weile, um
sich daran zu erinnern, daß sein Sarg nicht mit einem Kopfkissen ausges-
tattet gewesen war.
Das zweite betraf Greebos ausgesprochen schlechte Laune und seinen
Entschluß, nicht noch mehr über sich ergehen zu lassen. Er war in dem
Kasten mit den Rädern hin und her gestoßen worden, und einmal hatte
sich Nanny auf ihn gesetzt, und das ärgerte ihn deshalb so sehr, weil er
auf dem Niveau animalischer Instinkte begriff, daß er keinen größeren
und dümmeren Fehler machen konnte, als Nanny zu kratzen – immerhin
durfte er von niemand anderem
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