Ruhig Blut!
griff sie ins Schlüpferbein und holte ein großes, zerknül tes
Taschentuch hervor. »Hier, putz dir ordentlich die Nase, in Ordnung?«
Es klang wie ein verbogenes Nebelhorn.
»Nun, wohin hat man sie gebracht?« fragte Nanny, als Igor fertig war.
»Immerhin wimmelt es hier von zornigen Bauern.«
»Er wartete immer auf mich, mit wedelnden Schwänzen und fum Le-
cken bereiter Funge…«, schluchzte Igor.
» Wohin, Igor?«
Mit seinem Zeigefinger – beziehungsweise mit einem Zeigefinger, über
den er derzeit verfügte – deutete er zur gegenüberliegenden Tür.
»Dort geht’f zur Gruft«, sagte er. »Und fie können durch daf eiferne
Tor im Tal entkommen. Ihr werdet fie nie erwischen!«
»Aber die Riegel an der Tür sind noch immer vorgeschoben«, stel te
Agnes fest.
»Dann find fie nach wie vor im Schloff, waf mir fiemlich dumm er-
scheint…«
Gewaltige Orgelklänge unterbrachen Igor und ließen den Boden erzit-
tern.
»Gibt es passionierte Musiker unter den Bewohnern von Eskrau?«
fragte Nanny und setzte Igor wieder ab.
»Woher soll ich das wissen?« erwiderte Agnes, als zwei absteigende
Akkorde Staub von der Decke rieseln ließen. »Sie wol ten mir einen
Pflock ins Herz stoßen und meinen Kopf kochen! Dies war nicht der
geeignete Zeitpunkt, sie um ein wenig Musik zu bitten!«
Die Orgel erklang erneut.
»Warum sind sie geblieben?« fragte Nanny. »Inzwischen könnten sie
sich längst in Sicherheit gebracht haben… Oh…«
»Oma würde nicht weglaufen«, sagte Agnes.
»Nein, Oma Wetterwachs mag eine letzte, entscheidende Konfrontati-
on«, sagte Nanny und lächelte hintergründig. »Und der Graf und die
anderen denken wie sie. Irgendwie hat sie die Vampire dazu gebracht,
wie sie zu denken…«
» Sie denkt ebenfalls wie sie selbst«, fügte Agnes hinzu.
»Dann wol en wir ihr dabei helfen«, sagte Nanny. »Kommt!«
Lacrimosa zog ein mit »Gräßliches Gesicht am Fenster« beschriftetes
Register, und das Ergebnis war ein Akkord, plötzliches Donnern und ein
mechanisch klingender Schrei.
»Zum Glück schlagen wir nicht nach deiner Seite der Familie, Vater,
mehr kann ich dazu nicht sagen«, meinte sie. »Obwohl wir sicher eine
Menge Spaß haben könnten, wenn wir eine mechanische Verbindung zur
Folterkammer herstellen. Das war gewiß kein realistischer Schrei.«
»Das ist doch lächerlich«, sagte Vlad. »Wir haben das Kind. Wir haben
die Frau. Warum verlassen wir diesen Ort nicht einfach? Es gibt noch
viele andere Schlösser.«
»Das würde bedeuten, wegzulaufen«, erwiderte der Graf.
»Und zu überleben«, fügte Vlad hinzu und rieb sich den Kopf.
»Wir laufen nicht weg«, sagte der Graf. »Und… Nein, bitte weicht ein
wenig zurück…«
Seine letzten Worte galten der wütenden Menge, die unsicher an der
Tür wartete. Wütende Mengen werden ziemlich schnel unsicher, wenn
ihnen ein Anführer fehlt, und in diesem Fal rührte die Unsicherheit vom
Anblick Magrats und des Babys her.
Vlad hatte einen blauen Fleck an der Stirn. Eine Holzente auf Rädern
kann ziemlichen Schaden anrichten, wenn man fest genug damit zu-
schlägt.
»Herzlichen Dank«, sagte der Graf und hielt die kleine Esme im Arm.
Magrat versuchte vergeblich, sich aus dem Griff der anderen Hand zu
befreien, die sich wie eine Stahlklammer um ihren Arm geschlossen hat-
te. »Seht ihr? Absoluter Gehorsam. Es ist wie beim Schach. Wenn man
die Königin des Gegners hat – beziehungsweise die Dame –, dann ist
einem der Sieg praktisch sicher. Es spielt keine Rol e, wenn einige Bau-
ern verlorengehen.«
»Ich finde es ziemlich geschmacklos, so von Mutter zu sprechen«, sagte
Vlad.
»Ich hänge sehr an deiner Mutter«, erwiderte der Graf. »Bestimmt fin-
det sie eine Möglichkeit, zur Familie zurückzukehren, früher oder später.
Eine Reise tut ihr bestimmt gut. Irgendwelche Fischer werden das Glas
finden, und dann ist sie wieder bei uns, gesund und munter… Ah, die
unschätzbare Frau Ogg…«
»Komm mir bloß nicht auf die schmierige Tour!« schnappte Nanny
und bahnte sich entschlossen einen Weg durch die verwirrte Menge. »Ich
hab’s satt, daß du mir so schmierig wie die Schmiere in Person kommst!
Laß deine beiden Geiseln frei, oder…«
»Oh, so schnell sind wir beim oder angelangt«, seufzte der Graf. »Aber ich sage: Ihr verlaßt das Schloß, und dann sehen wir weiter. Viel eicht lassen wir die Königin frei. Aber die kleine Prinzessin… Ist sie nicht
bezaubernd? Sie kann als
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