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Ruhig Blut!

Ruhig Blut!

Titel: Ruhig Blut! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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mit dem gezeichneten Phönix aufwies,
    aber nach seiner Erfahrung waren Vögel keine sehr wählerischen Beob-
    achter.
    Gerade geschlüpfte Vögel neigten dazu, praktisch al es als Eltern zu
    akzeptieren. Wer jemals beobachtet hatte, wie sich die Eier einer brüten-
    den Henne öffneten, wußte: Entenküken konnten leicht dazu gebracht
    werden, sich für Hühner zu halten. Der arme Bussard William war ein
    gutes Beispiel dafür.
    Der Umstand, daß ein junger Phönix nie seine Eltern sah und daher
    auch gar nicht wissen konnte, wie er aussehen sol te, könnte es erschwe-
    ren, sein Vertrauen zu gewinnen.
    Aber dies war Neuland, und Festgreifaah war bereit, al es auszuprobie-
    ren. Köder, zum Beispiel. Er hatte Fleisch und auch Getreide eingepackt,
    obwohl die Zeichnung auf ein falkenartiges Geschöpf hinwies, aber für
    den Fal , daß brennbare Materialien erforderlich waren, nahm er auch
    Mottenkugeln und Fischöl mit. Netze kamen nicht in Frage, und Vogel-
    leim war natürlich ausgeschlossen. Festgreifaah hatte seinen Stolz. Au-
    ßerdem hätte vermutlich weder das eine noch das andere funktioniert.
    Aber da praktisch alles andere für einen Versuch in Frage kam, hatte er eine Entenpfeife genommen und so präpariert, daß sie ein Geräusch
    erzeugte, das ein vor langer Zeit gestorbener Falkner mit den Worten
    »wie der Schrei eines Bussards, aber tiefer« beschrieben hatte. Das Er-
    gebnis begeisterte ihn nicht gerade, aber viel eicht wußte ein junger Phö-
    nix auch nicht, wie ein erwachsener Phönix klingen sol te. Es konnte
    klappen; er mußte es auf jeden Fal versuchen.
    Er machte sich auf den Weg.
    Es dauerte nicht lange, bis in der Nähe der feuchten, dunklen Hügel
    ein Schrei ertönte, der nach einer Ente im Sturzflug klang.

    Matte Gräue am Horizont kündigte einen neuen Tag an, und kurzer
    Schneeregen hatte eine glitzernde Schicht auf den Blättern hinterlassen,
    als Oma Wetterwachs ihre Hütte verließ. Eine arbeitsreiche Nacht lag
    hinter ihr.
    Ein mit Bindfaden auf ihren Rücken gebundener Beutel enthielt die
    wenigen Dinge, die sie nicht zurücklassen wol te. Der Besen stand in
    einer Ecke am Kamin.
    Mit einem Stein sorgte sie dafür, daß die Tür offenblieb, und dann
    schritt sie durch den Wald davon, ohne einmal zurückzusehen.
    Unten im Dorf begrüßten krähende Hähne eine aufgehende Sonne, die
    sich irgendwo hinter den Wolken verbarg.
    Eine Stunde später landete ein Besen auf dem Rasen vor Oma Wetter-
    wachs’ Hütte. Nanny Ogg stieg ab und eilte zur Hintertür.
    Mit dem Fuß stieß sie gegen etwas, das die Tür offenhielt. Sie starrte
    auf den Stein hinab, als wäre er gefährlich, und schob sich dann an ihm
    vorbei ins Halbdunkel der Hütte.
    Wenige Minuten später kehrte sie nach draußen zurück und wirkte be-
    sorgt.
    Sie trat zur Wassertonne, zerbrach dort mit einer Hand das Eis, hob
    ein Stück hoch, betrachtete es einige Sekunden lang und warf es dann
    fort.
    Die Leute hatten oft falsche Vorstel ungen von Nanny Ogg, und sie
    bestärkte sie darin. Zum Beispiel glaubten viele, sie könnte nicht weiter
    sehen als bis zum Grund ihres Humpens.
    Eine Elster hockte auf dem Ast eines nahen Baums und schnatterte.
    Nanny warf einen Stein nach ihr.
    Agnes traf nach einer weiteren halben Stunde ein. Sie ging lieber zu
    Fuß, wann immer das möglich war – sie fürchtete, zu weit über den Be-
    sen hinauszuragen.
    Nanny Ogg saß unmittelbar hinter der Tür auf einem Stuhl und rauch-
    te ihre Pfeife. Sie nahm sie aus dem Mund und nickte.
    »Sie ist fort«, teilte sie der jüngeren Hexe mit.
    »Fort?« wiederholte Agnes. »Ausgerechnet jetzt, wo wir sie brauchen?
    Was hat das zu bedeuten?«
    »Sie ist nicht mehr hier«, erklärte Nanny.
    »Vielleicht macht sie nur einen Spaziergang durch den Wald«, speku-
    lierte Agnes.
    »Weg«, betonte Nanny. »Und zwar seit zwei Stunden, wenn ich mich
    nicht irre.«
    »Wie kommst du darauf?«
    Früher einmal – viel eicht erst gestern – hätte Nanny auf irgendwelche
    magischen Kräfte hingewiesen. Die Tatsache, daß sie heute sofort zur
    Sache kam, verriet deutlich das Ausmaß ihrer Besorgnis.
    »Ob es morgens regnet oder die Sonne scheint – Esme geht immer zu-
    erst zur Regentonne und wäscht sich das Gesicht«, sagte sie. »Jemand hat
    die Eisschicht vor zwei Stunden zerbrochen. Man kann sehen, wo sie
    wieder zugefroren ist.«
    »Ach, mehr steckt nicht dahinter?« erwiderte Agnes. »Nun, viel eicht
    muß sie irgend etwas erledigen…«
    »Komm und sieh

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