Ruhig Blut!
es dir selbst an«, sagte Nanny und stand auf.
Die meisten kleineren Gegenstände in der Hütte lagen auf dem Tisch.
Agnes bemerkte drei Tassen, drei Teller, drei Messer, ein Hackbeil, drei
Gabeln, drei Löffel, zwei Schöpfkel en, eine Schere und drei Kerzenhal-
ter. Eine hölzerne Schatulle enthielt Nadeln, Garn und Stifte…
Was geputzt werden konnte, war geputzt worden. Jemand hatte sogar
die alten Kerzenhalter aus Zinn zum Glänzen gebracht.
Agnes spürte, wie der kleine Knoten aus Anspannung in ihr wuchs.
Hexen besaßen nicht viel. Die Dinge gehörten der Hütte. Man durfte sie nicht von ihr wegbringen.
Auf dem Tisch war das Inventar ausgebreitet.
Hinter Agnes öffnete und schloß Nanny Ogg die Schubladen der alten
Frisierkommode.
»Es ist alles ganz ordentlich«, sagte Nanny. »Sie hat sogar den Rost
vom Kessel gekratzt. Die Speisekammer ist leer, abgesehen von einem
geschrumpelten Käse und steinharten Keksen. Ähnlich sieht’s im Schlaf-
zimmer aus. Ihr ICH-BINNE-NICH-TOT-Schild hängt hinter der Tür.
Und das Klo ist so sauber, daß du deinen Tee daraus trinken könntest.
Und sie hat die Schachtel aus der Kommode genommen.«
»Welche Schachtel?«
»Oh, sie bewahrt Zeugs darin auf«, sagte Nanny. »Memoraribililien.«
»Mem…?«
»Du weißt schon, Andenken und so. Dinge, die ihr gehören…«
»Was ist das hier?« fragte Agnes und hob eine grüne Glaskugel hoch.
»Oh, das hat sie von Magrat.« Nanny hob eine Ecke des Läufers an
und spähte darunter. »Es ist eine sogenannte Flotte, die unser Wayne
einmal vom Meer mitgebracht hat. Sie sind für die Bojen von Fischnet-
zen.«
»Ich wußte gar nicht, daß Bojen mit Glaskugeln ausgestattet sind«,
meinte Agnes.
Eine Sekunde später hielt sie den Atem an und wartete. Normalerweise
nahm Nanny Ogg selbst die harmlosesten Bemerkungen zum Anlaß,
irgendwelche Witze zu reißen, meistens mit einer ausgeprägten sexuellen
Komponente. Agnes dachte kurz daran, was Nanny unter gewöhnlichen
Umständen aus Begriffen wie Bojen und Glaskugeln gemacht hätte, und
sofort dehnte sich Verlegenheitsröte in ihr aus.
»Ich habe gerade von Bojen und gläsernen Kugeln gesprochen…«
»Mit dem Fischen kenne ich mich kaum aus«, sagte Nanny. Sie richtete
sich auf und kaute nachdenklich am Fingernagel ihres Daumens. »Mit
diesen Sachen stimmt was nicht… Die Schachtel… Sie hat nichts zu-
rückgelassen…«
»Oma ist doch nicht wirklich gegangen, oder?« fragte Agnes. »Ich meine, sie bleibt doch nicht etwa fort? Sie ist immer hier bei uns gewesen.«
»Wie ich dir gestern abend sagte: In letzter Zeit ist sie sie selbst gewe-
sen«, murmelte Nanny und ließ sich in den Schaukelstuhl sinken.
»Du meinst wohl, sie war nicht ganz sie selbst«, entgegnete Agnes.
»Ich weiß genau, was ich meine, Mädchen. Wenn Esme sie selbst ist,
schnauzt sie Leute an, schmollt und gibt sich deprimiert. Hast du nie
davon gehört, daß man Leute auf andere Gedanken bringt? Sei jetzt stil
und stör mich nicht beim Nachdenken.«
Agnes blickte auf die grüne Kugel in ihrer Hand hinab. Eine sogenann-
te Flotte, fünfhundert Meilen vom Meer entfernt. Jetzt Zierrat wie eine
Muschelschale. Keine Kristal kugel. Man könnte sie wie eine benutzen,
aber es war keine Kristallkugel. Agnes wußte, warum dieser Punkt große
Bedeutung hatte.
Oma Wetterwachs war eine sehr traditionel e Hexe. Hexen hatten sich
nicht immer al gemeiner Beliebtheit erfreut. Es konnte Zeiten geben – es
hatte einmal solche Zeiten gegeben –, zu denen es nicht besonders klug war, sich als Hexe zu erkennen zu geben. Deshalb verrieten die Gegenstände auf dem Tisch nichts über ihren Besitzer. Solche Vorsichtsmaß-
nahmen erübrigten sich in Lancre seit Jahrhunderten, aber manche An-
gewohnheiten gingen in Fleisch und Blut über.
Jetzt verhielt es sich genau andersherum. In den Bergen respektierte
man Hexen, doch nur die jungen investierten in richtige Kristallkugeln,
bunte Messer und tropfende Kerzen. Die alten… Sie blieben beim einfa-
chen Küchenbesteck, Schwimmern (beziehungsweise Flotten) und Holz-
stücken – Gegenstände, deren einfache Beschaffenheit deutlich auf ihren
Status hinwies. Mit einem Runenmesser konnte jede Närrin Hexe sein,
doch man brauchte Talent, wenn einem nur ein Apfelentkerner zur Ver-
fügung stand.
Ein Geräusch, das Agnes bisher nicht wahrgenommen hatte, hörte auf,
und Stille hallte von den Wänden wider.
Nanny sah auf.
»Die Uhr ist
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