Ruhig Blut!
mußte, um einen spitzen Pflock hindurchzu-
treiben.
Ah, hier waren sie… einige gekritzelte Zeilen, nur deshalb aufgehoben,
weil auf der anderen Seite Notizen für seinen Aufsatz über Klimpers
Leben der Propheten standen.
»Das Blut ist das Leben… Vampire gehorchen dem, der sie in Vampire verwandelt hat… Al ylbisulfid, aktive Substanz in Knoblauch… Porphyrin, Mangel an?
Erlernte Reaktion?… Heimatboden sehr wichtig… Möglichst viele trinken von einem Opfer, damit es zum Sklaven aller wird… ›Haufensaugen‹… Blut als unheiliges Sakrament… Vampir kontrol iert: Fledermäuse, Ratten, Kreaturen der Nacht, Wetter… Entgegen der Legenden werden die meisten Opfer nur passiv und NICHT
selbst zu Vampiren… Beabsichtigter Vampir erleidet schreckliche Qualen + giert nach Blut… Socken… Knoblauch, heilige Symbole… Sonnenschein – tödlich?…
Tod des Vampirs befreit al e Opfer… körperliche Kraft +…«
Warum hatte ihn niemand darauf hingewiesen, daß dies wichtig war?
Die zweite Hälfte der Seite zeigte eine Zeichnung, die Diakon Weichohr
darstellte – das Bild kam einem Stilleben gleich.
Himmelwärts stopfte das Notizbuch in die Tasche und holte vol er
Hoffnung sein Medail on hervor. Nach vier Jahren theologischen Studi-
ums war er keineswegs sicher, an was er glaubte. Zum Teil wegen der
häufigen Kirchenspaltungen, die bewirkten, daß sich der ganze Lehrplan
im Lauf eines Nachmittags änderte. Und außerdem…
Man hatte ihn davor gewarnt. Rechne nicht damit, hatte es geheißen.
So etwas geschieht nur bei den Propheten.
Om manifestiert sich nicht auf diese Weise. Om kommt von innen.
Trotzdem hatte Hilbert Himmelwärts gehofft, Om würde sich einmal
auf eine unmißverständliche Weise zeigen, die nicht auf Wind oder ein
schlechtes Gewissen zurückgeführt werden konnte. Er wünschte sich
nichts mehr, als daß für zehn Sekunden eine Lücke zwischen den Wol-
ken entstand und eine unüberhörbare Stimme proklamierte: »JA,
HLLBERT GELOBT-SIND-JENE-DIE-OM-VEREHREN
HIMMELWÄRTS! ES IST ALLES VOLLKOMMEN WAHR! DA
FÄLLT MIR EIN: DU HAST DA EINEN INTERESSANTEN
ARTIKEL ÜBER DIE RELIGIONSKRISE IN EINER
PLURALISTISCHEN GESELLSCHAFT GESCHRIEBEN!«
Es fehlte ihm keineswegs an Glauben. Doch der Glaube genügte nicht.
Er sehnte sich auch nach Wissen.
Derzeit hätte er sich mit einem zuverlässigen Handbuch über die Be-
seitigung von Vampiren begnügt.
Er stand auf, und hinter ihm klappte das gräßliche Feldbett zusammen.
Er hatte Wissen gefunden, doch dieses Wissen reichte nicht aus.
Hatte nicht Jotto den Leviathan des Schreckens dazu gebracht, sich an
Land zu werfen, woraufhin sich das Meer blutrot färbte? Hatte nicht
Orda, stark im Glauben, in der Region Smale eine Hungersnot verur-
sacht?
Natürlich entsprach das der Wahrheit. Himmelwärts glaubte fest daran.
Aber ein Teil von ihm konnte nicht vergessen, von kleinen Geschöpfen
gelesen zu haben, die an der Küste von Urt eine ungewöhnliche rote Flut
bewirkten, was seltsame Auswirkungen auf die übrigen Lebensformen im
betroffenen Meeresbereich haben konnte. Und sonderbare Windzyklen
hielten manchmal jahrelang Regenwolken von Smale fern.
Solche Informationen waren… beunruhigend.
Himmelwärts kannte sich gut mit den alten Sprachen aus, und deshalb
hatte man ihm erlaubt, in den neuen Bibliotheken zu studieren, die un-
weit der Zitadelle entstanden. Dadurch wuchs seine Besorgnis, denn der
Wahrheitssucher fand tatsächlich Wahrheit. Zum Beispiel die Dritte Rei-
se des Propheten Cena – dies schien fast eine Neuübersetzung des Sand-
Testaments aus dem Laotanischen Buch des Ganzen zu sein. Allein in einem Regal hatte er dreiundvierzig verschiedene Berichte über eine große Flut
gefunden, und in jedem einzelnen rettete ein Mann, der an Bischof Horn
erinnerte, die Menschheit durch den Bau eines magischen Schiffes. Die
Einzelheiten variierten natürlich. Manchmal bestand das Schiff aus Holz,
manchmal aus Bananenschalen. In einer Schrift brachte ein Schwan die
Kunde vom trockenen Land, in einer anderen ein Leguan. Diese Ge-
schichten in den Chroniken anderer Religionen waren natürlich nichts weiter als Legenden und Mythen, während die im Buch Cena geschilder-te Reise heiliger Wahrheit entsprach. Aber trotzdem…
Er hatte die Ausbildung zum Priester fortgesetzt, wurde vom Unteren
Unterunterdekan zum Unterunterdekan, doch die Sorge begleitete ihn.
Oft verspürte er den Wunsch, über seine
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