Ruhig Blut!
heiliger Eifer glühte in seinen Augen.
Er hielt dem Grafen etwas vors Gesicht, und Agnes beobachtete, wie
er auf ein Buch in der anderen Hand hinabblickte.
»Äh… ›Gehorche mir, Wurm des Schreckens, und keine Widerrede…‹«
»Bitte um Verzeihung?« warf der Graf ein.
»›… treibe nicht länger dein Unwesen…‹«
»Dürfte ich dich auf etwas hinweisen?«
»›… Geschöpf der Nacht, das…‹ Wie bitte?«
Der Graf nahm das Notizbuch aus einer erschlaffenden Hand.
»Das stammt aus Ossorys Mal eus Maleficarum «, sagte er. »Warum bist
du so überrascht? Ich habe ihm geholfen, es zu schreiben, du Dummkopf!«
»Aber… du… Seitdem sind Hunderte von Jahren vergangen!« brachte
Himmelwärts hervor.
»Na und? Außerdem habe ich beim Auriga Clavorum Maleficarum mitge-wirkt, auch beim Torquus Simiae Maleficarum, beim ganzen verdammten Arca Instrumentorum. Der Quatsch hat bei Vampiren überhaupt keine
Wirkung, wußtest du das nicht?« Der Graf knurrte fast. »Oh, ich erinnere
mich an eure Propheten. Es waren kleine, bärtige alte Männer mit den
hygienischen Angewohnheiten eines Wiesels, aber sie waren wenigstens
leidenschaftlich! Sie hatten kein heiliges kleines Selbst, das voller Sorgen und Unruhe steckte. Sie sprachen die idiotischen Worte so aus, als glaubten sie fest daran, mit Schaum in den Mundwinkeln. Sie waren echte Priester und hatten den Bauch vol er Feuer und Gal e! Du bist ein Witz.«
Der Graf warf das Notizbuch beiseite und nahm den Anhänger. »Dies
ist die heilige Schildkröte von Om, die mir vermutlich Angst einjagen
soll. Meine Güte. Nicht einmal eine gute Nachbildung. Billig hergestellt.«
Himmelwärts fand irgendwo Kraft. »Woher willst du das wissen, teufli-
scher Unhold?« fragte er mühsam.
»Nein, nein, solche Worte sind für Dämonen bestimmt«, seufzte der
Graf.
Er gab Himmelwärts die Schildkröte zurück.
»Nichtsdestotrotz eine lobenswerte Mühe«, sagte er. »Wenn mir jemals
der Sinn nach einer Tasse Tee, einem Brötchen und viel eicht sogar ei-
nem netten Singsang stehen sol te, werde ich deiner Mission bestimmt
einen Besuch abstatten. Doch derzeit bist du mir im Weg.«
Er schlug den Priester so hart, daß Himmelwärts unter den Tisch
rutschte.
»Soviel zur Frömmigkeit«, sagte er. »Jetzt fehlt nur noch das Erschei-
nen von Oma Wetterwachs. Es dürfte gleich soweit sein. Ihr glaubt doch
nicht, daß sie damit gerechnet hat, ihr könntet Erfolg haben, oder?«
Das Pochen des großen, eisernen Türklopfers hal te durch den Saal.
Der Graf nickte erfreut. »Das ist sie«, sagte er. »Ja, bestimmt. Sie legt
immer Wert auf den richtigen Augenblick.«
Der Wind heulte, als die beiden Torhälften aufschwangen, wehte kleine
Zweige, Regen und Oma Wetterwachs herein. Sie war vol kommen
durchnäßt und schmutzig. Ihr Kleid war an mehreren Stel en zerrissen.
Agnes begriff, daß sie Oma Wetterwachs noch nie zuvor naß gesehen
hatte, nicht einmal beim schlimmsten Unwetter, doch sie hatte keinen
trockenen Faden am Leib. Wasser tropfte an ihr herab und hinterließ
eine feuchte Spur auf dem Boden.
»Ich bin ja so froh, daß du gekommen bist, Frau Wetterwachs«, sagte
der Graf. »Du hast einen langen Weg durch die Nacht hinter dir! Nimm
am Feuer Platz und ruh dich ein wenig aus.«
»Ich werde mich hier nicht ausruhen«, erwiderte Oma.
»Dann möchte ich dir wenigstens etwas zu essen und zu trinken anbie-
ten.«
»Ich werde hier weder essen noch trinken.«
»Was hast du dann vor?«
»Du weißt genau, weshalb ich gekommen bin.«
Sie sieht klein aus, sagte Perdita. Und auch müde.
»Ah, ja. Das Spiel der Macht. Der entscheidende Kampf. Das Marken-
zeichen der Wetterwachse. Und… mal sehen… Auf deiner heutigen
Einkaufsliste steht ›Wenn ich gewinne, befreist du al e und kehrst nach
Überwald zurück‹, stimmt’s?«
»Nein«, widersprach Oma. »Wenn ich gewinne, stirbst du.«
Agnes stellte entsetzt fest, daß die alte Frau wankte.
Der Graf lächelte. »Ausgezeichnet! Aber… ich weiß, wie du denkst,
Frau Wetterwachs. Du hast immer mehr als nur einen Plan. Hier stehst
du nun, ganz offensichtlich nur einen Schritt vom Zusammenbruch ent-
fernt, und doch… Ich bin nicht ganz sicher, ob ich glauben sol , was mir
meine Augen zeigen.«
»Mir ist völ ig schnuppe, was du glaubst oder nicht«, sagte Oma. »Aber
du wagst bestimmt nicht, mich wieder gehen zu lassen, das weiß ich.
Weil du nicht sicher sein kannst, wohin ich gehe und was ich
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