Ruht das Licht
nicht.
COLE
In ihrem Gesicht veränderte sich nichts. Vielleicht bestand meine Zielgruppe wirklich nur aus Kindern kurz vor dem Teenageralter. Ziemlich enttäuschend, das alles.
»Guck mich nicht so an«, sagte sie. »Nur weil ich dein Gesicht nicht erkannt habe, heißt das nicht, dass ich deine Musik nicht kenne. Jeder Hinterwäldler kennt deine Musik.«
Ich sagte nichts. Was hätte es auch zu sagen gegeben? Das ganze Gespräch kam mir vor wie ein Déjà-vu, so als hätte ich schon die ganze Zeit über gewusst, dass ich es mit ihr führen würde, hier in diesem Auto, während der Nachmittag unter den Wolken immer kälter wurde.
»Was denn?«, fragte Isabel und lehnte sich nach vorn, um mir gerade ins Gesicht sehen zu können. »Was? Meinst du, es interessiert mich, ob du ein Rockstar bist?«
»Es geht nicht um die Musik«, erwiderte ich.
Isabel drückte ihren Finger auf die Narben in meiner Armbeuge. »Lass mich raten. Drogen, Frauen und ’ne ganze Menge derber Schimpfwörter. Was gibt es sonst noch über dich zu sagen, was ich nicht schon weiß? Heute Morgen hast du nackt auf dem Boden gelegen und mir gesagt, dass du dich umbringen willst. Glaubst du etwa, da haut es mich noch um, dass du der Sänger von – ohmeingott – NARKOTIKA bist?«
»Ja. Nein.« Ich wusste nicht, was ich war. Erleichtert? Enttäuscht? Wollte ich, dass es sie umhaute?
»Was willst du denn hören?«, fragte Isabel mich. »›Steig sofort aus, du Lump, du bist nicht der richtige Umgang für mich‹? Zu spät. Ich bin schon so weit unten, mich kannst du nicht mehr verderben.«
Das brachte mich zum Lachen, obwohl ich mich schlecht dabei fühlte, weil ich wusste, dass sie das als Beleidigung auffassen würde. »Und ob ich das könnte, glaub mir. Ich bin schon so tief in den dreckigsten Kaninchenlöchern gewesen, das kannst du dir noch nicht mal vorstellen. Ich hab schon Leute mit in diese Tunnel geschleift, die da nie wieder rausgekommen sind.«
Ich hatte recht. Sie war beleidigt. Sie dachte, ich würde sie für naiv halten.
»Ich will mich nicht über dich lustig machen, wirklich, ich versuche bloß, dich zu warnen. Ich bin viel berühmter für das alles als für meine Musik.« Ihre Miene war eiskalt geworden, darum beschlich mich die leise Hoffnung, dass ich tatsächlich zu ihr durchdrang. »Ich bin erwiesenermaßen komplett unfähig, eine Entscheidung zu treffen, die nicht in absolut jeder Hinsicht eigennützig ist.«
Jetzt fing Isabel an zu lachen, ein schrilles, grausames Lachen, das so selbstsicher klang, dass es mich irgendwie anmachte. Sie legte den Rückwärtsgang ein. »Ich warte immer noch darauf, dass du mir irgendwas erzählst, was ich nicht schon weiß.«
ISABEL
Ich nahm Cole mit zu mir nach Hause, obwohl ich wusste, dass das keine gute Idee war – und vielleicht war genau das der Grund, warum ich es tat. Als wir ankamen, war es schon Abend; der Himmel leuchtete so tiefrosa, dass es beinahe kitschig wirkte und wie ich es nur hier in Nordminnesota jemals gesehen hatte.
Wir waren wieder da, wo wir uns zum ersten Mal begegnet waren, nur dass wir diesmal den Namen des anderen kannten. Vor dem Haus stand ein Wagen: der rauchblaue BMW meines Vaters.
»Keine Sorge«, sagte ich, als ich von der anderen Seite in die kreisförmige Auffahrt einbog und den Geländewagen auf »Parken« stellte. »Das ist nur mein Vater. Es ist Wochenende, also wird er sich mit ’ner Flasche Schnaps nach unten in den Keller verzogen haben. Der merkt bestimmt noch nicht mal, dass wir da sind.«
Cole antwortete nicht, sondern ließ sich bloß aus dem Auto in die frostige, wolkenverhangene Luft rutschen. Er rieb sich die Arme und sah mich an, die Augen ausdruckslos und dunkel in der Dämmerung. »Schnell«, sagte er.
Ich spürte den schneidenden Wind und verstand, was er meinte. Ich wollte nicht, dass er sich jetzt in einen Wolf verwandelte, und so griff ich ihn beim Arm und schob ihn auf die Seitentür zu, durch die man direkt in das zweite Treppenhaus gelangte. »Da lang.«
Er schlotterte, als ich die Tür hinter ihm zuzog und wir uns in einem kleiderschrankgroßen Treppenaufgang wiederfanden. Gute zehn Sekunden lang krümmte er sich zusammen und lehnte sich an die Wand, während ich über ihm stand, die Hand auf der Klinke, bereit, die Tür für ihn als Wolf wieder aufzumachen.
Schließlich richtete er sich auf. Er roch nach Wolf, aber immerhin hatte er noch sein eigenes Gesicht. »Das war das erste Mal, dass ich jemals versucht habe, kein
Weitere Kostenlose Bücher