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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Woche, nachdem Jack gestorben war, hatte ich nicht mehr geweint. Ich wollte einfach nur, dass Cole ging. Cole St. Clair, König der Welt, war wirklich der Allerletzte, vor dem ich jetzt heulen wollte.
    Cole stützte sich mit beiden Armen rechts und links vom Fenster ab; das letzte Licht, das durch die Wolken drang, reichte kaum, um sein Gesicht zu erhellen. Er sah mich nicht an, als er sagte: »Ich hab meine erste Freundin betrogen. Immer wieder. Als ich auf Tour war. Als ich wieder zurück war, haben wir uns über irgendwas anderes gestritten und ich hab ihr gesagt, dass ich sie mit so vielen Mädchen betrogen hätte, dass ich noch nicht mal mehr ihre Namen wüsste. Ich hab ihr gesagt, dass ich jetzt genug gesehen hätte, um zu wissen, dass sie nichts Besonderes wäre. Wir haben uns getrennt. Das heißt, ich hab mit ihr Schluss gemacht. Sie war die Schwester meines besten Freundes und ich hab die beiden mehr oder weniger dazu gezwungen, sich zwischen mir und einander zu entscheiden.« Er lachte, ein schreckliches, humorloses Lachen. »Und jetzt hängt Victor irgendwo da draußen im Wald als Wolf fest. Als Typ, der immer wieder zum Wolf wird. Ein super Freund bin ich, was?«
    Ich sagte nichts. Seine moralische Krise war mir egal.
    »Sie war auch noch Jungfrau, Isabel«, sagte Cole und sah mich endlich wieder an. »Sie hasst mich. Und sie hasst sich selbst. Ich will dir das nicht auch antun.«
    Ich starrte ihn an. »Ich hab dich nicht gebeten, mir zu helfen, oder? Glaubst du, ich hab dich hier zu einer Therapiesitzung eingeladen? Ich kann drauf verzichten, dass du mich vor mir selbst rettest. Oder vor dir. Für wie schwach hältst du mich eigentlich?« Einen kurzen Moment lang glaubte ich nicht, dass ich es sagen würde. Dann tat ich es doch. »Ich hätte einfach gehen sollen, dann hättest du dich umbringen können.«
    Und wieder dieses Gesicht. Immer dieses Gesicht. Er hätte mich ansehen sollen, als hätte ich ihn verletzt, aber da war … nichts.
    Tränen brannten mir auf den Wangen und kitzelten mich unter dem Kinn, wo sie aufeinandertrafen. Ich wusste noch nicht mal, warum ich eigentlich weinte.
    »So eine bist du nicht«, sagte Cole, er klang müde. »Ich hab genug Mädchen kennengelernt, um das beurteilen zu können. Komm schon, hör auf zu weinen. So eine bist du nämlich auch nicht.«
    »Ach nein? Was bin ich denn dann für eine?«
    »Ich sag’s dir, wenn ich’s rausgefunden habe. Aber hör auf zu weinen.«
    Nachdem er laut ausgesprochen hatte, dass ich weinte, konnte ich es auf einmal nicht mehr ertragen, dass er mich dabei sah. Ich schloss die Augen.
    »Geh einfach. Raus aus meinem Zimmer.«
    Als ich sie wieder aufmachte, war er weg.
COLE
    Als ich die Treppe von ihrem Zimmer hinunterstieg, war ich kurz davor, nach draußen zu gehen und herauszufinden, ob das eisige Reißen in meinen Eingeweiden hielt, was es versprach. Doch ich blieb in der Wärme des Hauses. Ich hatte das Gefühl, etwas Neues über mich gelernt zu haben, so neu, dass es verloren gehen würde, wenn ich mich jetzt verwandelte, und ich mich nicht mehr daran erinnern würde, wann immer ich wieder zu Cole wurde.
    Ich schlenderte die Haupttreppe hinunter, im Hinterkopf immer das Bewusstsein, dass ihr Vater irgendwo in den Tiefen des Hauses war, während Isabel allein in ihrem Turmzimmer hockte.
    Wie war es wohl, in einem Haus wie diesem aufzuwachsen? Wenn ich zu heftig ausatmete, würde wahrscheinlich einer der teuren Teller von der Wand fallen oder die perfekt arrangierten getrockneten Blumen würden ihre Blätter verlieren. Meine Familie war zwar auch ziemlich wohlhabend – bei erfolgreichen verrückten Professoren liegt das wohl in der Natur der Sache –, aber bei uns zu Hause hatte es nie so ausgesehen wie hier. Unser Leben hatte ausgesehen … als würde jemand darin leben.
    Auf dem Weg zur Küche bog ich einmal falsch ab und fand mich stattdessen in so was wie einem Naturkundemuseum von Minnesota wieder: einem riesigen Raum mit hoher Decke, der von einer ganzen Armee ausgestopfter Tiere bewohnt wurde. Es waren so viele, dass ich fast an ihrer Echtheit gezweifelt hätte, aber der moschusartige Stallgeruch, der in der Luft hing, überzeugte mich letztlich doch. Gab es denn keine Tierschutzgesetze in Minnesota? Ein paar von diesen Tierarten sahen nämlich verdammt gefährdet aus. Bei uns im Staat New York hatte ich sie jedenfalls noch nie gesehen. Ich starrte auf eine exotisch gemusterte Wildkatze, die zurückstarrte. Ein Fetzen aus

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