Runlandsaga - Feuer im Norden
bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Der dunkelhaarige Mann trat an eine breite, mit einem Spitzbogen versehene Maueröffnung zu ihrer Rechten, die von Vorhängen eingerahmt war, aber weder ein Fenster aus Glas noch hölzerne Fensterläden besaß. Sie schien bei jedem Wetter geöffnet zu sein, so wie es auch in den Häusern und Türmen von Vovinadhár üblich war, da es dort keine starken Wetterveränderungen wie Regen oder Schnee gab. Als die beiden Serephin an das Sims herantraten, bot sich ihnen das Bild der weiten nördlichen See, die sich bis zum Horizont hinzog, ein unbewegtes Tuch aus dunklem Stoff. Die Nachmittagssonne hatte der Wasserfläche ihre steinerne Farbe geraubt und ihr stattdessen ein tiefes Blau verliehen, das sich leuchtend von dem helleren Ton des wolkenlosen Himmels abhob.
Alcarasán erkannte sofort, dass jener Anblick nicht zu den Schöpferischen Worten gehörte, die Ranár über diesen Ort ausgesprochen hatte. Auch Jahanila, die bisher weder die Sonne noch das Meer gesehen hatte, wusste, dass sie auf die wahrhaftige Welt von Runland blickte.
»Das ist wunderschön«, sagte sie ruhig. Weiter sprach sie nichts und sandte auch keine Worte an den Verstand ihres Meisters, sondern sah unverwandt auf das Meer hinaus. Ihr Schweigen teilte Alcarasán mehr als viele Worte mit, wie beeindruckt sie war. Kurz blitzte der Gedanke in ihm auf, wie sehr er sie um diesen Moment beneidete. Eine neue Welt zu erblicken war eine überwältigende Erfahrung, und es schnitt nie wieder so tief ins Herz wie beim ersten Mal.
Doch selbst ihn, der auf seiner langen Suche nach Anzeichen für das Überleben der Maugrim viele Welten gesehen hatte, berührte der Anblick, der sich ihm bot – und nun waren sie hier, um den Tod an diesen Ort zu bringen.
»Es ist nicht einfach ...« Ranárs kalter Blick folgte denen der beiden Serephin hinaus auf die See, deren Farbe dem Blau seiner Augen ähnelte. »... diese Welt zu sehen, an einem Tag wie diesem, und zu wissen, dass man das Werkzeug zu ihrer Zerstörung sein wird.«
Alcarasán hatte sich keine Mühe gemacht, seine Gedanken vor Ranár verborgen zu halten. Es wunderte ihn nicht, dass dieser ihn auf das ansprach, was ihm durch den Kopf gegangen war.
»Überrascht es dich, dass ich Gedanken des Mitgefühls besitze?«, sprach Ranár weiter. »Ich, ein Krieger aus dem Kreis der Stürme und treuer Diener von Belgadis, der dem Rat der Lamazhabin vorsteht und die Geschicke Vovinadhárs leitet?«
Er wandte sich dem Restaran aus dem Orden der Flamme direkt zu.
»Glaub mir, wenn ich nicht gelegentlich in meinem Handeln innehalten und zögern würde, dann müsste ich wahnsinnig sein. An einem Tag wie heute ist Runland so schön, dass ich die unbekannten Wesen um ihre Kunst beneide, die diese Welt einst erschaffen haben. Ihre Schöpferischen Worte hallen noch immer wieder, im Lärm jeder Brandung, die sich an den Ufern dieser Welt bricht, im Nachtwind, der in den Wipfeln der Bäume flüstert, in den vielen unterschiedlichen Farben der Erde unter unseren Füßen und in der Vielfalt des Lebens, das auf ihr umherzieht. Und doch müssen wir unseren Auftrag erfüllen und Runland zerstören, es in die Nacht vor allem Geschaffenen zurückschicken, aus der es entstand.«
»Ist das wirklich nötig?«, fragte Jahanila. Ihre Stimme klang etwas benommen, als würde sie gerade aus einem tiefen Schlaf voll schwerer Träume erwachen. »Würde ... würde es nicht reichen, die Verräter und ihre Temarigeschöpfe auszulöschen?«
»Es ist nötig!« Ranárs Stimme klang so hart, wie seine Augen polierten Saphiren ähnelten. Seine Fingerspitzen krallten sich in das Sims der Maueröffnung, als wollte er das Gestein eigenhändig mit den Händen zermahlen.
»Oláran und seine Verräter haben diese Welt für immer beschmutzt. Es ist ihre eigene Schuld, dass wir nun gezwungen sind, Runland als Ganzes der Vernichtung preiszugeben. Wir müssen den Schutzwall der Abtrünnigen zerstören. Mit nur einem einzigen Portal dauert es viel zu lange, ein genügend großes Heer aufzustellen. Aber wenn wir den Wall brechen, dann vernichten wir damit auch gleichzeitig diese Welt, denn der Schutzzauber ist inzwischen untrennbar mit Runland verbunden. Stellt euch das vor: Wir wären die Verräter wie auch ihre menschlichen Geschöpfe auf einen Streich los!«
»Was wäre so schlimm daran, allmählich immer mehr von unserem Volk durch dieses eine Portal zu schicken?«, wandte Alcarasán ein. »Wir würden mehr Zeit brauchen,
Weitere Kostenlose Bücher