Runlandsaga - Feuer im Norden
herauszubellen, als Suvare mit einem belustigten Zug um den Mund aus den Schatten trat.
»Also gut«, sagte sie, »reden wir ohne Umschweife miteinander.« Sie wandte sich an Teras. »Er kann an Bord.«
Der Alte trat mit einem mürrischen Brummen zur Seite.
Erst jetzt, als der Fremde das Deck betrat und unter das volle Licht einer der Lampen schritt, erkannte Suvare, dass es sich um einen Elfen handelte: Die spitz zulaufenden Ohren konnten keinem Menschen gehören. Noch ungewöhnlicher als urplötzlich im hohen Norden Runlands einem vom Alten Volk gegenüberzustehen, erschien ihr allerdings, dass er so klein war. Bisher hatte sie noch keinen Erstgeborenen gesehen, doch wann immer man ihr von den Endarin erzählt hatte, waren sie ihr als hochgewachsen beschrieben worden. Dieser Elf reichte ihr gerade bis an die Schultern. Außerdem kannte er Begriffe aus der Sprache von Seeleuten wie »Khor« oder »Bootsmann«. Sie hatte noch nie von einem Endar gehört, der auf einem Schiff Zuhause gewesen war. Und als hätte die Herrin des Schicksals sein unerwartetes Auftreten noch nicht für ungewöhnlich genug gehalten, steckte er in Kleidern, die bestimmt nicht seine eigenen sein konnten. Sie waren diesem kleinen Mann um einiges zu weit und hingen an ihm herab, als wäre er geschrumpft, seitdem er sie angezogen hatte.
Suvare führte den ungewöhnlichen Besuch an Teras vorbei, der sie ansah, als hoffe er, sie würde es sich doch noch anders überlegen und ihn anweisen, den eigenartigen Kerl wieder von Bord zu scheuchen. Sie öffnete die Tür zu ihrer Kajüte und ließ den Fremden hinter sich eintreten. Während sie eine Lampe entzündete, setzte sich der Elf ungefragt auf einen ihrer Stühle an dem breiten Tisch, der den größten Teil des Raumes ausfüllte. Normalerweise wäre das für Suvare ein Grund gewesen, ihn deshalb sofort zurechtzuweisen. Sie war empfindlich, was respektloses Verhalten in ihrer Gegenwart betraf, denn sie wusste, wie schnell sie in Gefahr kommen konnte, von ihrer Mannschaft nicht mehr ernst genommen zu werden, wenn sie sich nicht strenger verhielt als mancher Mann. Aber in diesem Fall sah sie darüber hinweg, denn ihre Neugierde war erwacht.
»Wie heißt Ihr eigentlich?«, fragte sie über ihre Schulter hinweg.
»Mein Name ist Arcad«, antwortete der Elf.
Sie drehte sich mit der brennenden Öllampe in ihren Händen um, eine Augenbraue überrascht nach oben gezogen. Diesen Namen hatte sie doch schon einmal gehört! »Seid Ihr nicht der Endar, der die berühmten Schwarzen Harfen gebaut hat?«
»Der bin ich«, bestätigte Arcad.
Suvare stellte die Lampe auf den Tisch und setzte sich ihm gegenüber. Das trübe Licht grub tiefe Schatten in das alterslose Gesicht des Elfen und ließ seine angespannten Züge noch stärker hervortreten.
»Ich wusste doch, dass ich Euren Namen kenne! Wenn irgendein Barde oder Geschichtenerzähler von Harfenbauern berichtet, dann kann man darauf wetten, dass über kurz oder lang Euer Name fällt. Ihr seid so etwas wie eine Legende in Runland ...« Sie hielt kurz inne, bevor sie in einem etwas schärferen Ton fortfuhr, »... wenn Ihr wirklich Arcad seid.«
Der Elf lächelte knapp. »Euer Misstrauen spricht für Euch. Ich wüsste nicht, wie ich es Euch beweisen könnte, dass ich der bin, der ich zu sein vorgebe. Ich fürchte, Ihr werdet mir glauben müssen, dass ich die Wahrheit spreche. Was meinen Namen betrifft, und auch, was den Grund angeht, aus dem ich zu dieser späten Zeit an Bord gekommen bin. Und bevor Ihr weiterfragt: Nein, ich bin offensichtlich nicht tot. Ich war nur fort, für eine Zeit, die ihr Temari wahrscheinlich als lange bezeichnen würdet.«
»Wenn ich mich an die vielen Geschichten über Euch recht erinnere, dann ist es fast ein halbes Jahrhundert her«, erwiderte Suvare, ohne in der Lage zu sein, ihr Erstaunen aus ihrer Stimme zu verbannen. »Für uns Menschen ist das durchaus eine lange Zeit.«
Arcad ging nicht weiter darauf ein. »Ihr seid also der Khor dieses Schiffes«, sagte er. »Im Hafen hörte ich, dass die Tjalk Euch gehört.«
Schon wieder ein Begriff aus der Welt der Seeleute. Sie fragte sich, ob der Elf einen guten Teil der Zeit, die er verschwunden gewesen war, auf dem Meer verbracht haben mochte. Sie konnte eine Landratte von einem Seebären unterscheiden. Und dieser Mann, wenn er wirklich der berühmte Harfenbauer war, schien den salzigen Geruch von jemandem zu verströmen, der Planken unter den Füßen sein Zuhause nennen
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