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Runlandsaga - Feuer im Norden

Runlandsaga - Feuer im Norden

Titel: Runlandsaga - Feuer im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Gates
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schimmernde Haut. Er hielt den Kopf gesenkt. Lange, pechschwarze Haare hingen ihm tief ins Gesicht, sodass Neria seine Züge nicht erkennen konnte. Mit ihren ungelenken Bewegungen und dem hängenden Kopf wirkte die Gestalt auf eine verstörende Weise leblos, wie eine Gliederpuppe, die von unsichtbaren Händen geführt wurde.
    Ein einziges Wort heulte wieder und wieder in Neria auf, lähmte sie ebenso wie eine Fliege, die von einer Spinne gebissen worden war:
    Gorrandha.
    Menschenfresser.
    Jetzt stand das Wesen dicht vor ihr. Es reichte ihr gerade bis zur Brust. Mit einem scharfen Ruck warf die Gestalt ihren Kopf in den Nacken und blickte die junge Frau an.
    Ein entsetzlicher Schrei gellte über die Anhöhe, hoch und von Grauen erfüllt. Nur undeutlich wurde sich Neria bewusst, dass sie es war, die schrie. Kurz darauf nahm sie nichts anderes mehr wahr, als die weißen Augen in dem hageren, fahlen Gesicht vor ihr, das sie mit einem Ausdruck voll nackter Gier anstarrte.
    Vornübergebeugt schwankte sie vor und zurück wie ein schlanker Baum im Sturm. Ihr Mund stand weit offen. Speichel tropfte an ihrem Kinn herab, ohne dass sie es bemerkte. Die milchig schimmernden Augen, die zu ihr aufschauten, waren wie kalter nächtlicher Nebel, in den Neria hineinstürzte, als ihr die Sinne schwanden – eisiges Vergessen innerhalb eines Bewusstseins, das nichts anders kannte als endlosen Hunger und den Drang zu verzehren, ohne jemals satt zu werden.

7
    Eine dichte Nebelbank hatte die Suvare wie mit einem bleichen und klammen Tuch umhüllt. Die Tjalk glitt durch die Wellen einer ruhigen See, ohne sich übermäßig stark zu heben oder zu senken. Teras stand auf dem Oberdeck am Bug. Er hatte sich weit über die Bordwand gebeugt und hielt sich mit einer Hand an der Vorstag fest. Trotz dieser Haltung ließ er seinen Kopf kaum aus dem umgeklappten Kragen seines schweren Mantels herauslugen, um sich vor der morgendlichen Kälte zu schützen, die selbst im Frühling auf der offenen See noch schmerzhaft in jedes Stück Haut biss, das nicht durch Kleidung geschützt war. Seine Augen suchten den Nebel ab, doch nicht einmal die Scheibe der Sonne war hinter dem weißen Schleier zu sehen. Dass sie sich irgendwo dort draußen verbarg, war nur daran zu erkennen, dass die Waschküche, durch die sich die Tjalk bewegte, am Heck etwas heller schimmerte.
    Teras fuhr sich geistesabwesend mit dem Rücken seiner freien Hand über das Kinn, bis seine Bartstoppeln brannten. Wenigstens hielt die Suvare immer noch einen groben Kurs nach Westen. Der Herrin des Schicksals musste man auch für die kleinen Dinge danken.
    »Heh, Daniro!«, brüllte er über seine Schulter hinweg. »Kannst du was sehen?«
    Niemand antwortete ihm. Widerwillig verdrehte er die Augen. Wozu hatte sein Khor den bloß an Bord genommen! Etwas im Gesicht dieses Mannes hatte er von Anfang an nicht leiden können. Teras wollte einen Eimer voll Kartoffelschalen fressen, wenn der Neue nicht irgendeine Sache vor ihnen allen verbarg. Und wenn einer Mannschaft mitten in diesem grauen Nirgendwo etwas gefährlich werden konnte, dann Leute mit Geheimnissen. Dabei hatten sie alle schon genug Probleme.
    »Daniro!«, bellte er nochmals, doch alles blieb still. Schließlich drehte er sich um, legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Ausguck am Mast empor, wo er den jungen Mann vor einer Stunde hinaufgescheucht hatte.
    »Verdammt noch mal, ich rede mit dir! Bist du eingeschlafen?«
    Das wäre nicht ratsam gewesen. Der Ausguck bestand aus nicht viel mehr als einer schmalen Plattform knapp unterhalb der Mastspitze mit einem Geländer in Brusthöhe, an dem man sich im Stehen festhalten konnte, wenn die See hoch ging. Wer dort oben so dumm war, auf Wache einzunicken, der konnte leicht mit einem Fuß abrutschen und auf die Planken hinabstürzen.
    »Tut mir leid, Bootsmann!«, schrie eine Stimme zu ihm herab. »Hab dich nicht gleich gehört.«
    Die Falte auf Teras‘ Stirn grub sich noch tiefer als eben zuvor. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«, donnerte er mit hochrotem Kopf. »Hör ich mich vielleicht an, als würde ich flüstern?«
    Der verdammte Bengel reizte ihn bestimmt mit Absicht.
    Er nahm eine Bewegung hinter sich wahr und drehte sich um. Eivyn, den der alte Mann ebenfalls dazu verdonnert hatte, mit müden Augen den Nebel auf der Backbordseite abzusuchen, hatte den beiden gelauscht und grinste in sich hinein. Er war ein kleiner, flinker Kerl mit einem runden Gesicht und einem beinahe ebenso

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