Runlandsaga - Feuer im Norden
unfreundlicher Eigenbrötler, der meist für sich blieb und kaum jemanden von der Mannschaft an sich heranließ. Obwohl er nur ein paar Jahre älter als Suvare war, besaß er bereits graues Haar. Niemand wusste so richtig, auf welchen Schiffen er unterwegs gewesen war, bevor er vor etwa drei Jahren angeheuert hatte. Auf jeden Fall verstand er etwas davon, eine Tjalk zu steuern, das hatte er in mehr als nur einem Sturm bewiesen. Doch heute Nacht war ihm Suvare nicht von der Seite gewichen. Das Segeln bei Dunkelheit in Landnähe war viel zu gefährlich, als dass sie hätte schlafen können, während sich ihr Schiff durch die Finsternis bewegte. Diese Küstenlinie war von heimtückischen Klippen durchzogen. An einigen Orten zwischen Andostaan und Menelon waren schon Schiffe auf Klippen gefahren und untergegangen. Die träumende Cyrandith allein mochte wissen, wie viele Wracks in den Gewässern um die Halbinsel von Felgar auf dem Meeresgrund lagen.
»Ich kann auch nichts sehen«, murmelte Suvare schließlich und rieb sich die Augen. »Aber es ist besser, wenn wir uns absichern. Torbin soll noch weiter auf die offene See hinausfahren.«
Sie ging über das leere Deck zum Heck der Tjalk, wo ihr Steuermann noch immer das Ruder in seinen Händen hielt. Obwohl er die ganze Nacht über keinen Schlaf bekommen hatte, sah er kaum müde aus. Suvare beneidete ihn.
»Daniro hat Land gesichtet«, sagte sie.
Torbin nickte.
»Ich hab‘s gehört. Soll ich den Kurs beibehalten? Ich kenn den Verlauf der Küstenlinie hier gut.«
»Nein, fall ein wenig vom Wind ab. Dann werden wir zwar langsamer, aber wir halten mehr Abstand. Der Nebel gefällt mir nicht.«
»Ay, Khor.«
Er drehte das Ruder. Suvare beobachtete, wie die Fock und das Gaffelsegel kaum merklich einfielen. Die Tjalk verlor etwas an Fahrt. Gleichzeitig nahm das bisher recht trübe Tageslicht zu. Die Sonne am Heck des Schiffes schien ein wenig heller durch den Nebel.
»Sieht so aus, als ob sich diese Suppe endlich verzieht!«, ließ sich Torbin vernehmen.
»Wenn wir Glück haben, dann bekommen wir einen sonnigen Tag«, sagte Suvare. »Halt weiter den Kurs, ich sehe inzwischen nach unseren Gästen.«
Torbin brummte ihr eine Bestätigung ihrer letzten Anweisung hinterher, während sie sich auf den Weg zum Unterdeck machte.
In den letzten Stunden waren alle an Bord – vor allem sie selbst – hauptsächlich damit beschäftigt gewesen, aus dem Hafen von Andostaan zu fliehen, im Dunkeln die Klippen vor der Bucht zu umschiffen, ohne die Tjalk untergehen zu lassen, und sich auf dem offenen Meer in Sicherheit zu bringen. Für die vielen Fragen, die Suvare auf den Lippen brannten, war keine Zeit gewesen. Aber nun konnte und wollte sie nicht länger warten. Die fremden Krieger hatten ihren Besitz angegriffen. Zwei Menschen waren an Bord umgekommen, zwar niemand aus der Besatzung, aber ein Mann und eine Frau, die sich auf ihr Schiff geflüchtet und damit unter ihren Schutz begeben hatten. Sie erwartete eine Menge Erklärungen von dem kleinen Elf.
Die Flüchtlinge hatten sich im Laderaum unter dem Vorderdeck hingelegt. Da es dort keine Schlafplätze gab, hatte Suvare ihren Männern gesagt, sie sollten den Leuten Segeltuch zur Verfügung stellen, das sie wie Decken auf dem Boden ausbreiten konnten. Der Stoff war steif und unhandlich, aber man lag darauf immer noch besser als auf nackten Planken.
Mit einer brennenden Öllampe in ihrer Hand ging Suvare den Laderaum ab. Sie schritt an den Schlafenden zu ihrer Rechten und Linken vorbei, konnte sie aber wegen des schlechten Lichts, und weil einige im Liegen ihre Gesichter von ihr abgewandt hatten, kaum erkennen. Sie glaubte, zwei der älteren Ratsmitglieder ausgemacht zu haben, doch nach Larcaan hielt sie vergeblich Ausschau. Kurz bevor Enris mit dem Jungen und dessen Eltern aufgetaucht war, hatte sich ihr ganz besonderer Freund aus der Fellhandelsstation noch zusammen mit seinem unvermeidlichen Schatten Thurnas als einer der Letzten an Bord eingefunden. Seitdem war er ihr aber offenbar aus dem Weg gegangen. Suvare hoffte, dass dies so bleiben würde. Ein hässlicher Teil in ihr war regelrecht verärgert, dass der Kerl ihr keinen Grund geliefert hatte, ihn sofort wieder von Bord zu werfen.
Im hinteren Bereich des Raumes erkannte Suvare die beiden Jungen. Der Rothaarige hatte sich an eine Kiste gelehnt und döste mit halboffenem Mund, während der Blonde neben ihm auf dem Boden lag. Enris hatte sich etwas abseits von den beiden
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