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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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antun, wenn sie doch
nur aus Nebel sind?», fragte Luka. «Was passiert, wenn wir von ihnen getroffen
werden?» Nobodaddy schüttelte den Kopf. «Unterschätze nie die Waffen der
Zeit», sagte er. «Wenn dich eine Nebelkugel trifft, löscht sie deine gesamte
Erinnerung aus. Du könntest dich nicht mehr an dein Leben erinnern, an deine
Sprache oder auch nur daran, wer du warst. Du würdest zur leeren Hülse, wärst
zu nichts mehr nutze, fertig, finito.» Luka war
sprachlos. Wenn dies die Wirkung einer Nebelkugel war, dachte er, was würde
dann erst passieren, wenn sie in den Nebel der Zeit selbst eintauchten? Sie
hatten nicht die geringste Chance. Wie hatte er nur so verrückt sein können, zu
glauben, er sei in der Lage, sämtliche Hindernisse der magischen Welt zu
überwinden und bis ins Herz der Zeit vorzudringen? Er war doch nur ein Junge,
und die ihm gestellte Aufgabe ging weit über seine Fähigkeiten hinaus. Wenn er
weitermachte, bedeutete dies nicht nur das Ende für ihn selbst, sondern auch
den Untergang seiner Freunde. Das alles war unmöglich zu schaffen, aber
Aufgeben kam auch nicht in Frage, denn dann verlöre er jede Hoffnung, seinen
Vater zu retten, wie gering auch immer sie sein mochte.
    «Zerbrich
dir nicht den Kopf», unterbrach Soraya von Ott seine sorgenvollen Gedanken.
«Schließlich bist du nicht vollkommen schutzlos. Hab ein wenig Vertrauen zum
großen fliegenden Teppich von König Salomon dem Weisen.»
    Das
besserte Lukas Laune, wenn auch nur ein bisschen. «Weiß denn jemand, dass wir
kommen?», fragte er. «Warum sonst werden wir beschossen?»
    «Nicht
unbedingt», erwiderte Nobodaddy. «Ich fürchte, wir haben ein automatisches
Verteidigungssystem ausgelöst, als wir dem Nebel der Zeit zu nahe gekommen
sind. Vergiss nicht, junger Luka, dass wir im Begriff sind, die Regeln der
Geschichte zu brechen. Sobald wir in den Nebel vordringen, lassen wir die Welt
dessen hinter uns, woran die Menschen sich erinnern, und bewegen uns auf die
Ewigkeit zu, das heißt», fuhr er fort, als er die Verwirrung in Lukas Gesicht
sah und begriff, dass er deutlicher werden musste, «jene geheime Zone, in der
keine Uhren ticken und die Zeit stillsteht. Niemand von uns dürfte sich dort
aufhalten. Lass es mich anders ausdrücken: Wenn du dich mit einer Krankheit
ansteckst, wenn Viren sich in deinem Körper ausbreiten und dafür sorgen, dass
du dich unwohl fühlst, dann schickt dein Körper Antikörper aus, um sie zu
bekämpfen und zu vernichten, und schon bald fühlst du dich wieder besser. Tja,
und da in diesem Fall wir die Viren sind, müssen wir wohl, fürchte ich, mit
einigem ... Widerstand rechnen.»
    Als Luka
sechs Jahre alt gewesen war, hatte man im Fernsehen Bilder vom Planeten Jupiter
sehen können, zur Erde gestrahlt von einer winzigen, unbemannten Raumsonde,
die langsam auf diesen riesigen Gasgiganten herabstürzte. Jeden Tag kam die
Sonde ein wenig näher, und der Planet wirkte größer und immer größer. Auf den
Bildern hatte man deutlich die langsame Bewegung der Gase erkennen und
mitverfolgen können, wie sie Farbschichten und -kanäle schufen, sich zu
Streifen und Wirbeln zusammenfanden und natürlich die beiden berühmten Flecken
bildeten, einen riesengroßen und den kleineren. Irgendwann war die Sonde
schließlich von den Gravitationskräften des Planeten herabgezogen worden, verschwand
auf immer mit einem - zumindest stellte Luka es sich so vor - leisen Glubsch, einem
langgezogenen Sauggeräusch, und danach hatte das Fernsehen keine Bilder mehr
vom Jupiter gezeigt. Als der fliegende Teppich Resham sich jetzt
dem Nebel der Zeit näherte, erkannte Luka, dass es darin ebenso Bewegung gab
wie auf dem Jupiter. Der Nebel strömte und kreiste und bildete komplexe
Muster, es waren sogar Farben zu erkennen, und als Luka noch näher kam, sah er,
dass sich das Weiß in vielen voneinander abgesetzten Schattierungen brach.
«Wir sind die Sonde», dachte er, «eine bemannte Sonde, keine unbemannte, aber
bestimmt hören wir gleich ein leises Glubsch, und das
war's dann. Ende der Übertragung.»
    Der Nebel
waberte vor ihm, allumhüllend, blendend hell, und dann, ganz ohne irgendein
Geräusch, wurde der fliegende Teppich vom Weiß verschluckt. Sie selbst aber
blieben vom Nebel der Zeit unberührt, da der Teppich einen
Verteidigungsmechanismus besaß und eine Art unsichtbaren Schild um sich schuf,
ein Kraftfeld, das offensichtlich stark genug war, den Nebel auf Abstand zu
halten. Genau wie Soraya es versprochen

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