Rushdie Salman
und einer Frau, die er aus dem
Nichts erschaffen hatte. Er vertraute der Schönheit, der
Malerei und der Weisheit seiner Vorfahren. In andere
Dinge aber hatte er sein Vertrauen verloren, in den Glauben zum Beispiel. Er wusste, dem Leben war nicht zu
trauen, die Welt war unzuverlässig. Ins Tor zur Großen
Moschee hatte er seinen Wahlspruch schnitzen lassen,
der allerdings nicht von ihm selbst, sondern angeblich
von einem Jesus aus Nazareth stammte. Die Welt ist eine
Brücke. überschreite sie, ohne ein Haus darauf zu bauen.
Nicht einmal meinem eigenen Motto glaube ich, schalt er
sich, denn er hatte nicht bloß ein Haus, sondern eine ganze Stadt erbaut. Wer auf eine Stunde hofft, hofft auf die
Ewigkeit. Die Welt ist eine Stunde. Was folg; ist unsichtbar. Das stimmte, gab er sich in Gedanken recht, ich
erhoffe mir zu viel. Ich erhoffe eine Ewigkeit. Eine Stunde ist für mich nicht genug. Ich hoffe auf Größe, und das
ist mehr, als der Mensch erhoffen sollte. (Das «ich» fühlte sich großartig an, wenn er es nur zu sich selbst sagte;
es schien ihm vertrauter, aber es würde eine Privatangelegenheit bleiben, so viel war klar., Ich wünsche mir ein
langes Leben, dachte er, und Frieden, Einsicht und eine
gute Mahlzeit am Nachmittag. Vor allem aber wünsche
ich mir, einen jungen Mann kennenzulernen, dem ich
vertrauen kann. Dieser junge Mann wird nicht mein Sohn
sein, aber ich werde ihn zu mehr als meinem Sohn machen. Er wird mein Hammer und mein Amboss sein,
meine Schönheit und meine Wahrheit. Ich werde ihn in
Händen halten, und er wird den Himmel ausfüllen.
Noch am selben Tag brachte man einen gelbhaarigen
jungen Mann zu ihm, der einen absurd langen, aus kunterbunten Lederlappen zusammengenähten Mantel trug
und einen Brief der Königin von England in Händen
hielt.
Am frühen Morgen weckte Mohini, die schlaflose Hure
im Bordell Hatyapul, den Gast aus der Fremde. Er kam
rasch zu sich, riss sie grob in seine Arme, zauberte aus
dem Nichts ein Messer herbei und hielt es ihr an die Kehle. «Sei nicht blöd», sagte sie. «Hundertmal hätte ich dich
in der letzten Nacht umbringen können, als du so laut
geschnarcht hast, dass ich fürchtete, der Herrscher in
seinem Palast könnte dich hören.» Sie hatte ihm zwei
Raten angeboten, eine für den einmaligen Akt, den zweiten, nur leicht höheren Preis, für die ganze Nacht. «Was
ist günstiger?», fragte er. «Der Preis für die ganze Nacht,
behaupten meine Kunden», erwiderte sie mit ernster
Miene, «doch sind sie meist so alt, so betrunken, so mit
Opium benebelt oder schlicht so unfähig, dass sogar ein
Mal für sie oft schon zu viel ist, also wirst du mit der
Einmalrate gewiss ein wenig Geld sparen.» - «Ich zahle
das Doppelte für die ganze Nacht», sagte er, «wenn du
mir ver-sprichst, bis zum Morgen zu bleiben. Es ist lange
her, seit ich eine Nacht mit einer Frau verbracht habe,
und dein Körper an meiner Seite wird mir meine Träume
versüßen.» - «Gut, wenn du mit dem Geld um dich werfen willst, halt ich dich nicht davon ab», sagte sie kaltherzig, «doch ist schon seit Jahren keine Süße mehr in
mir.»
Sie war so mager, dass sie von den Huren nur Skelett
genannt wurde, und Kunden, die es sich leisten konnten,
bestellten sie oft zusammen mit ihrem Widerpart, der
dicken Hure Matratze, um die bei den Extreme dessen zu
genießen, was die weibliche Form zu bieten hatte. (Sie aß
wie ein Wolf, doch je mehr sie aß, um so fetter wurde
Matratze, bis schließlich die Vermutung aufkam, die beiden Huren hätten einen Pakt mit dem Teufel geschlossen,
und Skelett würde in der Hölle bis in alle Ewigkeit enorm
übergewichtig sein, an ihrer Seite eine klapperdürre Matratze mit Nippeln wie kleine Holzpfropfen auf der flachen Brust.,
Sie war eine doliarthi des Hatyapul, weshalb in ihren
Vertragsbedingungen stand, dass sie mit ihrem Beruf
gleichsam verheiratet war und das Bordell erst auf der
arthi, der Totenbahre, wieder verlassen würde. Dafür
hatte sie sogar eine Parodie der Hochzeitszeremonie über
sich ergehen lassen müssen und war zum Vergnügen des
Straßenpöbels auf einem Eselskarren angekommen statt
in der sonst üblichen Sänfte, einer doti. «Genieß deinen
Hochzeitstag, Skelett, einen anderen wirst du nie erleben», rief ein Großmaul, doch schütteten die Prostituierten vom oberen Balkon einen Pisspott mit warmem Urin
über ihn aus, was ihn schlagartig verstummen ließ. Der
«Bräutigam» war das Bordell in
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