Rushdie Salman
sie zu nehmen, solange sie noch schlief. «Steckt ihn rein. Macht schon. Ihr
braucht nicht vorsichtig zu sein. Besorgt es ihr nur ordentlich. Das wird ihr schon die Augen öffnen.» Doch er
hatte beschlossen, sie nicht zu schänden, sondern zu warten, bis sie von allein erwachte, und Alessandra Fiorentina gab ihm recht. Der Gedächtnispalast war eine außergewöhnliche Schönheit und wollte mit Feingefühl genommen werden. So viel Respekt hatte sie verdient, auch
wenn sie nur Sklavin im Haus einer Kurtisane war.
Gegen Vlad 111., Kazikli Bey, den Woiwoden der Walachei, gegen Vlad «Dracula», den «Drachen-Teufel», den
Pfähler-Fürsten, konnte keine sterbliche Macht bestehen.
Über Fürst Vlad erzählte man sich, er trinke das Blut
seiner aufgespießten Opfer, noch während sie sich in
Todesqualen am Pfahl wanden, und dieses Blut lebendiger Männer und Frauen verleihe ihm eine seltsame Macht
über den Tod, weshalb er nicht getötet werden, nicht
sterben könne. Er sei die Bestie der Bestien. Er schnitt
getöteten Männern die Nasen ab und schickte sie dem
Fürsten von Ungarn, um mit seiner Tapferkeit zu prahlen.
Solche Geschichten versetzten die Armee in Angst und
Schrecken, weshalb sie sich nicht gerade auf den Marsch
zur Walachei freute. Um die Janitscharen anzufeuern,
ließ der Sultan daher dreißigtausend Goldstücke unter
ihnen verteilen und sagte seinen Männern, wenn sie siegten, erhielten sie Anspruch auf Besitz. sowie das Recht,
wieder ihre ursprünglichen Namen tragen zu dürfen.
Vlad, der Teufel, hatte schon ganz Bulgarien gebrandschatzt und fünfundzwanzigtausend Menschen auf hölzerne Pfähle gespießt, dabei besaß er weniger Soldaten
als die osmanische Armee. Wenn er sich zurückzog, hinterließ er verbrannte Erde, vergiftete Brunnen und geschlachtetes Vieh. Als das Heer des Sultans folglich ohne
Wasser und Lebensmittel festsaß befahl der Teufelskönig
Überraschungsangriffe. Viele Soldaten verloren ihr Leben, und ihre Leichen wurden auf gespitzte Pfähle gespießt. Dann wich Dracula nach Targoviste aus, und der
Sultan verkündete, hier müsse sich der Teufel zur letzten
Schlacht stellen.
Doch in Targoviste erwartete sie ein schrecklicher Anblick. Zwanzigtausend Männer, Frauen und Kinder waren
vom Teufel auf einem Palisadenzaun rund um die Stadt
aufgespießt worden, nur um der herannahenden Armee
zu zeigen, was sie erwartete. Säuglinge klammerten sich
an ihre gepfählten Mütter, in deren faulenden Brüsten
Krähen ihre Nester bauten. Von diesem Anblick, diesem
Wald aufgespießter Menschen, war der Sultan derart angewidert, dass er seinen entsetzten Truppen den Rückzug
befahl. Anscheinend sollte der Feldzug mit einer Katastrophe enden, doch da trat der Held mit seinen Getreuen
vor. «Wir tun, was getan werden muss», sagte er, und
einen Monat später kehrte der Held nach Stambul zurück,
in seinem Gepäck ein Krug Honig mit dem eingelegten
Kopf des Teufels. Wie sich herausstellte, war Dracula
trotz aller gegenteiligen Gerüchte doch sterblich gewesen. Seinen Leichnam hatte man aufgespießt, wie er
selbst so viele Menschen aufgespießt hatte, und man
überließ ihn den Mönchen des Klosters Snagov, auf dass
sie ihn beerdigten, wann immer sie es für angemessen
hielten. In diesem Augenblick begriff der Sultan endlich,
dass es sich bei dem Helden um ein übermenschliches
Wesen handelte, dem verzauberte Waffen gehörten und
dessen Gefährten ebenfalls mehr als bloß menschlich
waren. Man erkannte ihm die höchste Ehre des osmanischen Sultanats zu, den Rang des Trägers der Verwunschenen Lanze. Außerdem wurde er zum freien Mann
erklärt. «Von jetzt an», sagte der Sultan, «bist du so sehr
meine rechte Hand, wie es mir meine eigene Hand ist und
du sollst auch keinen Sklavennamen mehr tragen, denn
du bist nicht länger irgendeines Mannes Mameluck oder
Abd; dein Name sei Pascha Arcalia, der Türke.»
Welch schönes Ende, kommentierte Il Machia trocken in
Gedanken. Hat unser alter Freund also doch sein Glück
gemacht. Hier konnte der Gedächtnispalast den Bericht
ebenso gut beenden wie an irgendeiner anderen Stelle.
Also legte er sich zu ihr und stellte sich Nino Argalia als
orientalischen Pascha vor, dem, umlagert von den Schönen des Harems, barbrüstige nubische Eunuchen frische
Luft zufächelten. Er ekelte sich vor diesem Bild eines
Renegaten, eines christlichen Konvertiten zum Islam, der
sich an den Fleischtöpfen des verlorenen Konstantinopel
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