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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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gesprochen, doch gab es nur eine Uniform, die Pluderhosenkluft der osmanischen Rekruten. Unserem Helden
wurden die Lumpen abgenommen, er wurde gewaschen,
bekam zu essen, und man gab ihm klares Wasser. Dann
nahm man ihm auch sein Christentum und nötigte ihn,
den Islam überzustreifen wie einen neuen Pyjama. Es gab
Griechen in Usküb und Albanier, Bosnier und Kroaten
und Serben, auch Mamelucken, weiße Sklaven von
überall aus dem Kaukasus, Georgier und Mingrelier,
Tscherkessen und Abchasen, und es gab auch Armenier
und Syrier. Unser Held war der einzige Italiener. Florenz
zahlte keinen Knabenzins, doch würde sich das nach Ansicht der Osmanen im Laufe der Zeit gewiss ändern. Die
neuen Herren taten, als hätten sie Mühe, seinen Namen
auszusprechen; al-ghazi, der Eroberer, wurde er scherzhaft genannt, auch al-khali, die Leere, das Gefäß. Sein
Name aber war unwichtig. Argalia, Arcalia, Arqalia, AlKhaliya. Sinnlose Laute, darauf kam es nicht an. Es war
seine Seele, die, genau wie die Seelen aller anderen Jungen, eine neue Führung brauchte. Auf dem Paradeplatz
ordneten sich mürrisch die neu eingekleideten Kinder in
Reih und Glied vor einem Mann in langer Kutte, dessen
weißer Hut so hoch war wie sein Bart lang, drei Fuß weit
ragte der eine über seinen Brauen auf, der andere fiel
gleich tief von seinem Kinn herab, was den Eindruck
erweckte, er besäße einen immens langen Kopf. Er war
ein heiliger Mann, ein Derwisch vom Orden der Bektaschi, und er sollte sie zum Islam bekehren. Mit ihren vielen verschiedenen Akzenten plapperten die wütenden,
verängstigten Jungen den notwendigen arabischen Satz
über den einen Gott und seinen Propheten nach. Ihre Metamorphose hatte begonnen.
Selbst während er im Dienste der Republik unterwegs
war, konnte Il Machia nicht aufhören, an den Gedächtnispalast zu denken. Im Juli galoppierte er in Richtung
Ravenna nach Forli, um Gräfin Caterina Sforza Riario zu
überreden, ihren Sohn Ottaviano für weitaus weniger
Geld an der Seite der Florentiner kämpfen zu lassen, als
sie gefordert hatte, denn sollte sie sich weigern, würde sie
den Schutz der Stadt Florenz verlieren und folglich der
Gnade des grausamen Herzogs Cesare Borgia der Romagna ausgeliefert sein, des Sohnes von Papst Alexander
VI. Die «Madonna von Forli» war so außerordentlich
schön, dass selbst Il Machias Freund Biagio Buonaccorsi
für eine Weile aufhörte, sich mit Andrea di Romolo zu
verlustieren, um Niccolo zu bitten, ihm ein Bild von ihr
mitzubringen. Doch Niccolo dachte nur an die namenlose
Französin, die wie eine Marmorstatue im Boudoir des
Hauses Mars von Alessandra Fiorentina stand. «He, Machia», schrieb Ago Vespucci, «komm schnell zurück,
denn ohne Dich organisiert niemand unsere Kneipen- und
Kartenabende; außerdem steckt Deine Kanzlei bis oben
hin voll mit den blödesten Arschlöchern Italiens, die uns
alle ohne Ausnahme feuern wollen - also ist Deine ewige
Herumreiterei auch schlecht fürs Geschäft.» Aber Niccolo hatte keinerlei Gedanken übrig für Ränkespiele oder
Dolce Vita, gab es für ihn doch nur eine einzige Frau, die
er verführen wollte, falls er denn je den Schlüssel fand,
der ihm ihr geheimes Innerstes aufschloss, ihre unter dem
Gedächtnispalast verborgene Persönlichkeit.
Manchmal sah Il Machia die Welt allzu analog, sah eine
Situation analog zu einem gänzlich anderen Geschehen.
Als Caterina seinen Vorschlag ablehnte, hielt Il Machia
dies daher für ein schlechtes Omen. Vielleicht würde er
beim Gedächtnispalast ebenfalls versagen. Als Cesare
Borgia dann bald darauf - wie von Niccolo vorhergesagt -
die Stadt Forli attackierte und eroberte, stellte sich Caterina hoch oben auf die Stadtmauern, hielt dem Herzog
von Romagna ihr Genital hin und rief, er könne sie mal.
Sie endete als Gefangene des Papstes im Castel Sant’
Angelo, doch hielt Il Machia, der die Welt manchmal ein
wenig zu analog sah, ihr Schicksal für ein gutes Zeichen.
Als Gefangene in Papst Alexanders Burg schien ihm Caterina Sforza Riario ein Spiegelbild jener Frau zu sein,
die in einem verdunkelten Zimmer in Königin Alessandras Haus Mars verwahrt wurde. Und dass sie sich vor
Borgia entblößt hatte, bedeutete möglicherweise, dass der
Gedächtnispalast einwilligte, selbiges vor ihm zu tun.
Also kehrte er zum Haus Mars zurück, und die Kupplerin
Giulietta erklärte sich widerstrebend bereit, ihm uneingeschränkten Zugang zum Gedächtnispalast zu gewähren,

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