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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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suchte sie, die nicht mehr dort
war, die nie wieder zurückkehren würde. Als er starb,
zählte er keine siebenunddreißig Jahre. Dreiundzwanzig
Jahre lang war er der Schah von Persien gewesen, doch
hatte er alles verloren, was ihm wichtig gewesen war.
    Als sie Argalia entkleidete und sah, dass seine Unterwäsche mit Tulpen bestickt war, begriff sie, wie sehr er an
seinem Aberglauben hing und dass er wie jeder Mann,
der einer todbringenden Arbeit nachging, alles nur erdenklich Mögliche tat, um seinen letzten Tag hinauszuzögern. Als sie ihm die Unterwäsche auszog und Tulpentätowierungen auf seinen Schultern entdeckte, auf den
Hinterbacken und gar auf dem dicken Penisschaft, da
wusste sie mit letzter Gewissheit, dass sie die Liebe ihres
Lebens gefunden hatte. «Ihr braucht diese Blumen nicht
mehr», sagte sie und streichelte seine Tulpen. «Jetzt habt
Ihr ja mich als Euren Glücksbringer.»
Er dachte: Ja, ich habe Euch, doch nur, bis ich Euch nicht
mehr habe, nur, bis Ihr beschließt, mich ZU verlassen, so
wie Ihr Eure Schwester verlassen habt, bis Ihr erneut das
Pferd wechselt, wie Ihr von Schah Ismail zu mir gewechselt seid. Ein Pferd ist schließlich nur ein Pferd. Sie las
seine Gedanken, und da sie spürte, dass er weitere Zusicherungen brauchte, klatschte sie in die Hände. Spiegel
kam ins blumenvolle Schlafgemach. «Sag ihm, wer ich
bin», befahl sie. «Sie ist die Frau, die Euch liebt», sagte
Spiegel. «Mit ihrem Zauber kann sie die Schlangen aus
ihren Erdlöchern locken, die Vögel aus den Bäumen, und
die Tiere verlieben sich in Euch, doch nun hat sie sich
selbst in Euch verliebt, weshalb Ihr alles haben könnt,
was Ihr begehrt.» Als die Zauberin leicht mit der Augenbraue zuckte, ließ Spiegel ihre Kleider zu Boden fallen
und schlüpfte ins Bett. «Sie ist mein Spiegel», sagte die
Zauberin. «Sie ist der schimmernde Schatten. Wer mich
gewinnt, bekommt auch sie.» In diesem Moment gab
Argalia, der große Krieger, sich geschlagen. Angesichts
einer solchen Umfassungsbewegung bleibt einem Mann
nur die bedingungslose Kapitulation.
Er war es, der sie in «Angelica» umbenannte. Bezwungen vom Namen Qara Köz, seinem glottalen Schlusslaut
und der ungewohnten Klangfolge, verlieh er ihr jenen
seraphischen Namen, unter dem ihre neuen Welten sie
kennenlernen sollten. Und sie wiederum gab diesen Namen an ihren Spiegel weiter. «Wenn ich Angelica sein
muss», sagte sie, «wird mein Schutzengel auch eine Angelica sein.»
    Seit vielen Jahren schon kam ihm als Günstling des Sultans die Ehre zu, in der Wohnstätte der Glückseligkeit
residieren zu dürfen, im Topkapi, statt mit den spartanischen Behausungen der Janitscharen-Kasernen vorliebnehmen zu müssen. Doch erst seit seinen Gemächern der
Zauber einer weiblichen Hand anzumerken war, fühlte er
sich hier wahrhaft daheim. Für Männer wie Argalia ist
der Glaube an ein Zuhause allerdings schon immer eine
beunruhigende, gefährliche Idee gewesen. Wie in einer
Schlinge konnten sie sich darin verfangen. Selim der
Grimmige war nicht Bayezid und nicht Mehmed, er hielt
Argalia nicht für seine unverzichtbare rechte Hand, sondern für einen möglicher-weise gefährlichen Rivalen im
Kampf um die Macht, für einen beliebten General, der
seine Janitscharen durchaus ins Innerste Allerheiligste
des Palastes führen mochte, wie er dies bereits einmal
getan hatte, damals, als er den Großwesir ermordete. Ein
Mann, der den Großwesir auf dem Gewissen hatte, war
auch zum Königsmord fahrig. Bei einem solchen Mann
überwog die Gefahr möglicherweise den Nutzen. Kaum
waren sie zurück in Samarkand, begann der Sultan, der
seinen italienischen Oberbefehlshaber in der Öffentlichkeit mit Lob überschüttete, insgeheim Argalias Untergang zu planen.
    Die Neuigkeit, dass seine Stellung am Hofe gefährdet
war, kam Argalia zu Ohren, weil Qara Köz beschloss,
ihm auch weiterhin mit Tulpen eine Freude zu bereiten.
Überall in der Wohnstätte der Glückseligkeit gab es Gärten, ummauerte Gärten, versunkene Gärten, bewaldete
Bereiche, in denen sich das Rotwild ungehindert bewegte, aber auch Uferrasenflächen, die sich hinab bis zum
Goldenen Horn erstreckten. Die Tulpenbeete fanden sich
im vierten Hof, nahe dem flachen Hügel am Nordende
des Topkapi-Serails, dem höchsten Punkt des gesamten
Anwesens, wo überall kleine hölzerne, Kiosk genannte
Lustpavillons standen. Dort wuchsen die Tulpen in großer Zahl und schufen eine Atmosphäre duftender

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