Russen kommen
ist. Polizei war allerdings auch schon bei ihr und hat sie befragt.«
»Wann hast du das herausgefunden?«
»Putzen geht früh los, wenn Kunden nicht daheim sind. Jetzt passen Jana und Fran auf, ob im Haus noch etwas Interessantes passiert. Mich hat man dort schon zu viel gesehen.«
Ich starre auf meine Notizen. »Wenn ich bloß wüsste, wann Dolochow gestorben ist.«
»Da habe ich Theorie«, sagt Vesna eifrig. »Man wollte ihn ausfragen. Man hat ihn an Liegestuhl gebunden und liegen gelassen. Dazu passt auch, dass er in eigenem Dreck gelegen ist. Er hat nichts verraten, dann man hat ihn gefoltert. Und dann hat man ihn umgebracht. Oder einfach gewartet, bis er tot war. Ohne Nahrung und ohne Wasser, festgebunden im Freien kann auch ein ganz gesunder Mann nicht mehr als fünf, sechs Tage überleben. Weil Anzeichen für gewaltsamen Tod gibt es keine, oder?«
Ich schüttle den Kopf und muss zugeben, dass auch niemand von uns danach gesucht hat. Ich versuche, nicht an die Augen mit den Maden zu denken.
»Man kann ihn natürlich auch erstickt haben«, überlegt Vesna weiter. »Oder mit einem dünnen, spitzen Gegenstand präzise ins Herz gestochen, das macht nicht viel Blut nach außen.«
Telefon. Ich sehe genervt hin, hausinterner Anruf. Ich hebe ab. Ich soll zum Chefredakteur kommen, sofort.
»Über einen Doppelgänger kann ich nur spekulieren«, sage ich zu Vesna. »Peinlich, wenn ich mich in der Reportage in etwas verrenne.«
»Auch deshalb habe ich Zwillinge beim Haus. Vielleicht kommt der echte oder der falsche Dolochow.«
»Der wird sich hüten.«
»Und wenn er von nichts weiß?«, gibt Vesna zu bedenken.
Zwillinge. Das wäre auch eine Möglichkeit. Dolochow könnte einen Zwillingsbruder haben. Darüber war im Internet freilich nichts zu lesen. Außerdem: Der eine Zwilling macht am Arlberg geheime Geschäfte, der andere hat Familiensinn und plant eine Kapelle für Opa? Ich weiß nicht. Aber Vesna ist von dieser Möglichkeit ganz begeistert. »Wie schön man sich Arbeit aufteilen kann, wenn man ist zu zweit. Fran muss das im Computer recherchieren. Du weißt, wie gut er ist. Auch auf der Uni.«
»Bis vierzehn Uhr muss alles fix und fertig sein. Ich muss zum Chefredakteur. Sofort.«
»Und ich muss Sache mit Zwilling klären.«
Ich überlege. »Wenn es so wäre: Die Polizei würde wohl davon wissen.«
»Aber sie erzählen nichts, Mira Valensky.«
Da hat sie recht. Gemeinsam eilen wir durch das Großraumbüro. Peter sieht uns interessiert nach. Der junge Chronik-Redakteur hat ein gutes Gespür dafür, wenn etwas im Busch ist. Aber auch aus unserer Redaktion darf niemand etwas erfahren, bis das »Magazin« ausgeliefert ist.
Der Chefredakteur steht neben seinem Schreibtisch, als ich in sein Zimmer komme.
»Man hat interveniert«, sagt er.
Okay, Mira, die ganze Aufregung umsonst. Story begraben. Nein. Lasse ich mir nicht gefallen. Ich muss äußerst widerspenstig dreinsehen, der Chefredakteur blickt mich erschrocken an. Gut so.
»Ein Ministersekretär. Mit dem Hinweis darauf, dass ich mir zu Beginn meiner Chefredakteurslaufbahn nicht gleich alle wichtigen Kontakte zerstören soll. Man könne keine Verschlechterung der Beziehungen mit Moskau brauchen, da würden auch massive Wirtschaftsinteressen dahinter stehen, bla, bla, bla.« Der Chefredakteur grinst. »Wir bringen die Reportage natürlich. Und ich habe beschlossen, dass sie Blattaufmacher wird. Wann hat man schon eine solche Geschichte exklusiv?«
Ich nicke.
»Sie sollen gleich sehen, dass Interventionen bei mir nicht durchgehen«, fährt der Chefredakteur fort. Er wirkt, als wäre er von seinem Mut doch nicht restlos überzeugt.
»Es ist alles gut recherchiert. Das kann ich garantieren.« Ich will gerade erzählen, was ich weiß, als Droch hereinrollt.
»Sie wissen, worauf Sie sich da einlassen«, sagt Droch zum Chefredakteur. Der steht vor ihm wie ein Schuljunge und nickt. Offenbar hat er Droch schon ausrichten lassen, was los ist.
Der Chefredakteur sieht mich an: »Ist es für Sie in Ordnung, wenn in diesem besonderen Fall Herr Droch Ihren Text noch einmal durchgeht?«
»Natürlich«, sage ich und habe eine Idee. Vielleicht kann er in diesem so »besonderen Fall« doch bei Zuckerbrot klären, wann Dolochow gestorben ist und ob er einen Doppelgänger oder einen Zwillingsbruder hatte. Aber das kann ich mit ihm nur unter vier Augen bereden.
»Vergiss es«, sagt Droch, als wir in seinem kleinen Büro sind. »Du weißt, dass Zuckerbrot und ich
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