Russische Freunde: Kriminalroman
Krankenhaus: Die Messgeräte piepten und blinkten alarmierend, die Technik funktionierte hektisch und fehlerlos, aber das Leben entwich.
Der BMW war auf der Verkehrsinsel gelandet und hing fest. Der Fahrer bemühte sich vergeblich, loszukommen. Die Hinterräder drehten sich in der Luft, abwechselnd vor- und rückwärts. Korhonen versuchte, den Renault zum Leben zu erwecken. Er ließ den Starter unablässig mahlen, der Motor lief einige Runden auf einem Zylinder mit und kam dann aufheulend in Gang.
Korhonen setzte vorsichtig zurück. Der beim Aufprall getroffene Hinterreifen bumperte, schien sich jedoch zu drehen.
»Schnell, Richtung Pukinmäki«, wies ich Korhonen an.
»Warte noch einen Moment«, sagte er.
Er stieg aus und nahm seine Glock aus der Jackentasche, stellte sich mit gegrätschten Beinen hin, als wäre er beim Schießtraining, und warte darauf, dass sich die Zielscheibe drehte. Dann hob er die Pistole mit ausgestreckten Armen und drückte zweimal ab. Die erste Kugel prallte vom Dach des BMW ab und landete im Fenster eines Ramschladens auf der anderen Straßenseite. Das grün beschichtete Glas zersprang, und die Alarmanlage schrillte auf. Der zweite Schuss bohrte sich in das Rückfenster des BMW , auf dem sich ein dichtes Netz von Rissen bildete.
Ich riss das Sturmgewehr aus der Umhüllung, befestigte das Magazin und rannte zu Korhonen, der seelenruhig die glitzernden Hülsen von der Straße aufsammelte. Dem Fond des BMW entstiegen zwei Männer. Ich kannte sie nicht, grüßte nicht, hob nur meine Kalaschnikow. Die Männer hoben ganz leicht die Hände, streckten sie nicht etwa in Panik oder um Gnade flehend gen Himmel, sondern signalisierten lediglich, dass sie ihre Waffen nicht ziehen würden und dass dies eine rein pragmatische Entscheidung war.
Wir stiegen ein. Korhonen schnallte sich in aller Ruhe an. » Safety first «, sagte er. Der Wagen humpelte und rumpelte, bewegte sich aber vorwärts.
»Du hast geschossen. Die Scheibe in Stücke. Hoffentlich hat es auf der Vorderbank keinen getroffen. Und hoffentlich waren das Ganoven und keine harmlosen Unbeteiligten«, fuhr ich ihn an.
»Du hast die Kerle doch gesehen. Zum Teufel noch mal, das waren keine Zeitungsboten«, gab Korhonen eiskalt zurück. »Derselbe Wagen hat an der Einfahrt zu deiner Halle gestanden. 5er BMW s fahren am frühen Morgen nicht massenweise rum. Außerdem hab ich direkt unters Dach gezielt. Das waren Warnschüsse. Ich glaube nicht, dass die Burschen sich bei der Justiz oder beim Minderheitsbeauftragten beschweren.«
Der Renault schwankte und klagte, er schien kurz vor dem Absterben zu sein. Ich wies Korhonen an, abzubiegen und eine geschützte Stelle zu suchen. Er kurvte an der Kreuzung wieder auf den Fahrradweg, ließ den Wagen im Leerlauf in die Bahnunterführung rollen und hielt dort an. Als ich ihm befahl zu schweigen, sah er mich pikiert an, gehorchte aber.
Ich überlegte. Wie zum Teufel hatten unsere Verfolger uns aufgespürt, welche Fährte hatten sie gerochen? Steckte Korhonen dahinter, hatte er sich von den Petersburgern kaufen lassen, mir scheinbar zur Flucht verholfen und dann von seiner Wohnung aus unsere Koordinaten durchgegeben? Nicht gerade wahrscheinlich, er hätte mich auch mit weniger Aufwand ans Messer liefern können. Der Waffenhändler Slawa Makarow? War er ein Knecht meiner Verfolger? Aber hätte er dem Stoßtrupp den Weg zu Korhonens Wohnung erklären können? Und ich hatte ja auch Karpow angerufen … Die Scheißkerle hatten mich angepeilt, mein Handy geortet, sobald ich es eingeschaltet hatte.
»Gib mir dein Telefon«, forderte ich. Ich suchte eine Nummer auf meinem Handy und tippte sie dann auf Korhonens Gerät ein.
»Hallo, Jussuf, wer da?«, meldete sich eine heisere Stimme.
»Viktor. Ich bin mit einem Kumpel hier in der Nähe. Hab ein bisschen Trouble, ich brauch ein Auto und einen Fahrer. Dich«, erklärte ich, ohne mich zu entschuldigen, weil ich ihn geweckt hatte. Jussuf stellte keine Fragen, wunderte sich nicht, sagte einfach:
»Okay.«
Ein Mann nach meinem Geschmack.
10
»Das reinste Mogadischu hier. Siebenundsiebzig Prozent Arbeitslose und durchschnittliche Familiengröße sechs Komma neun. Das Sozialamt gleich um die Ecke, damit es nicht so anstrengend ist, Stütze zu beantragen«, erklärte Korhonen.
Mir lag die Bemerkung auf der Zunge, arm könne jeder werden und Leute, die von Sozialhilfe lebten, seien nicht zu beneiden. Doch ich ließ Korhonen schwafeln. Meine Gegenargumente
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