Russische Freunde: Kriminalroman
Helsinki keine Geschäfte dieser Art. Auch sonst praktisch keine Interessen und keine Interessenkonflikte. Ich hab mich umgehört, hier weiß keiner etwas von der Situation. Eventuell sind ein paar entfernte Bekannte an der Sache beteiligt, junge Männer, die auch uns schon mal ihre Dienste angeboten haben. Aber das Ganze wirkt eher hausbacken. Schau dir deinen eigenen Umkreis an. Von Sankt Petersburg geht die Sache jedenfalls nicht aus.«
Ich bedankte mich und beteuerte, wie sehr ich Onkels Hilfe zu schätzen wusste. Er wehrte meinen Dank bescheiden ab, doch wir wussten beide, dass ich ihm einen Riesengefallen schuldete und dass er die Schuld eines Tages einfordern würde.
»Sag mir doch noch, was du getan hättest, wenn wir tatsächlich hinter dir her gewesen wären«, erkundigte sich Onkel. »Rein theoretisch gefragt«, lachte er.
»Ich hätte mich aufgemacht und getötet. Den Boss und den ganzen Vorstand, alle von der Petersburger Kasse. Rein praktisch geantwortet«, gab ich zurück, obwohl ich wusste, dass es nicht das Allerklügste war, auch nur fiktive Morddrohungen gegen die Chefs der Unterwelt von Sankt Petersburg vom Stapel zu lassen.
Onkel schwieg eine Weile.
»Ich verstehe«, sagte er dann. »Und ich merke, dass du dich verändert hast, als Mensch«, fuhr er fort, als stünde er an einem Kiosk und läse mir die Überschrift einer Frauenillustrierten vor. »Du bist offenbar nicht mehr gewillt, die andere Backe hinzuhalten. Na, mach’s gut.«
Damit legte er auf.
Verändert. Alle stimmten sie dieselbe Leier an. Als wären die Treibjagd auf mich und der ganze Schlamassel meine Schuld, verdammt noch mal. Dennoch wusste ich, dass Onkel irgendwie recht hatte. Aber momentan konnte und wollte ich mich nicht mit der Entwicklung meiner Persönlichkeit befassen. Es gab Wichtigeres zu bedenken: Ich musste am Leben bleiben.
In Gedanken rekapitulierte ich die wenigen Informationen, die Onkel mir gegeben hatte. Eine hausbackene Sache. Mein enger Umkreis. Die Worte hallten mir als schrille Dissonanz in den Ohren. Von meiner Familie war ja nur noch Aleksej übrig, und ihm vertraute ich voll und ganz, er war ein Fels in der Brandung. Na ja, metaphorisch gesprochen, lächelte ich. Marja? Gut, sie nörgelte an mir herum, aber sie würde weder Intrigen spinnen noch eine dramatische Rache inszenieren. Und die Männer aus meiner Brigade? Für Kiuru und seine Leute konnte ich die Hand ins Feuer legen, und die neu hinzugekommenen Männer hatten nicht das Zeug zu derartigen Manövern.
Überleg mal, ahmte ich Onkel nach. Was hatte ich denn anderes getan, zum Teufel, als über die vertrackte Situation nachzugrübeln. Abgesehen davon natürlich, dass ich mit angesehen hatte, wie mein Haus abbrannte, weggerannt war, mich in der Halle versteckt, einen Polizisten niedergeschlagen, illegale Waffen gekauft und in einem Unfallwagen gesessen hatte, in eine Schießerei geraten war … Ein ganzer Tag war vorbeigerauscht, ohne große Gedanken, gestand ich mir ein. Und jetzt fror mir allmählich der Kopf, ohne Denkmütze.
Ich ging auf dem Parkplatz hin und her. Auch Korhonen war ausgestiegen, rauchte und dehnte die Wadenmuskeln, indem er die Fußsohle gegen den Autoreifen presste. Ich wollte ihn schon darauf hinweisen, dass Rauchen die Adern verengt und Dehnungsübungen deshalb für die Katz waren. Was soll’s, ist ja nicht meine Achillessehne, zügelte ich meine Trainernatur und verzog mich hinter einen Laster mit russischem Nummernschild.
Wieder tippte ich eine Telefonnummer ein. Karpow meldete sich sofort.
»Waleri, mein Freund, wie geht es dir?«, grüßte ich herzlich.
Karpow sagte nichts. Ich hörte seinen Atem und begriff, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
»Rede über die Fischgründe in Wysotsk, wenn du nicht frei sprechen kannst. Du weißt ja sowieso von nichts, ich bin doch derjenige, der anruft und fragt«, bezeugte ich Karpows Unschuld gegenüber eventuellen Mithörern.
»Nichts dergleichen. Ich war nur überrascht, deine Stimme zu hören, hab einen Schreck gekriegt«, gestand Karpow. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du anrufst. Ich hab allerhand über dich gehört. Trauriges und Gefährliches, um es offen zu sagen.«
»Ins Auto. Du fährst. Richtung Norden«, kommandierte ich Korhonen ans Steuer, setzte mich neben ihn.
»Fahren wir denn nicht in Vaalimaa über die Grenze? Du wolltest uns doch über einen deiner Kumpel Visa besorgen. Hat dein persönliches Konsulat das Schengen-Abkommen verkramt, oder
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