Russische Orchidee
…«
»Ach, genau«, der Kameramann wurde lebhaft, »die erste und die letzte Talkshow von Artjom Butejko. Darf man fragen, wie die Kassette in Ihre Hände gelangt ist? Ich dachte, es existiert keine Aufzeichnung mehr.«
»Ich habe sie bei Butejko zu Hause gefunden. Sie sagten, die erste und die letzte. War dieser Mißerfolg denn für die Fernsehchefs so einschneidend, daß sie Butejko danach für drei Jahre vom Bildschirm verbannt haben?«
»Offiziell hat ihn niemand verbannt. Aber danach hatte er nur noch Schwierigkeiten, eine richtige Pechsträhne. Die Sponsoren waren außer sich. Sie sagten, daß sie nicht bereit seien, ihr Geld für so einen dreisten Pfusch herzugeben, daß er die Bank blamiert und zum Gespött der Leute gemacht habe. Außerdem hat man ihm übelgenommen, daß er mit seiner Stümperei die Sendezeiten durcheinandergebracht hat. Weil seine Sendung sieben Minuten zu früh zu Ende war, gab es ein Loch, und das ist eine sehr ärgerliche Sache. Übrigens werden seitdem fast alle Sendungen dieser Art als Aufzeichnungen gebracht.«
»Aber warum hat er ausgerechnet die Beljajewa als Expertin eingeladen?«
»Sie war zu der Zeit schon sehr beliebt, und für solche Sendungen braucht man unbedingt ein Zugpferd. Lisa war einverstanden, weil sie gerade zwei freie Stunden hatte, na, und außerdem hat er sie inständig darum gebeten.«
»Seltsam, daß niemand aus dem Publikum auf die Idee kam, dem jungen Mann auch nur eine der einfachen Fragen zu stellen, die sie ihm gestellt hat.«
»Die Zuschauer sind schlichte Leute von der Straße. Sie waren zu sehr von der Magie des Fernsehens geblendet. Genau darauf hat Butejko auch spekuliert. Verstehen Sie, man hat ihm ja nicht angekreidet, daß er einen Bekannten angeschleppt und sich eine falsche Geschichte ausgedacht hat. Es ging darum, daß er zu bequem gewesen war, alles gewissenhaft vorzubereiten, und die Geschichte schon durch drei einfache Fragen entlarvt werden konnte. Nebenbei, die Bank ›Hoffnung‹ war ein Jahr später bankrott und ihre Besitzersamt dem Geld der Kunden untergetaucht. Die beiden Männer, die Sie auf dem Video gesehen haben, werden bis heute von der Miliz gesucht.«
»Sie sagten, es sei ein Bekannter Butejkos gewesen, den er als Gast mitgebracht hatte. Erinnern Sie sich vielleicht noch an seinen Namen?«
»Keine Ahnung, das ist ja schon mehr als drei Jahre her.«
Kapitel 23
Dmitri Malzew war den ganzen Tag unterwegs. Warja hatte bereits seit dem Morgen Kopfschmerzen und leicht erhöhte Temperatur und war deshalb zu Hause geblieben. Solange das Hausmädchen mit dem Staubsauger durch die Wohnung brummte, ging sie, ihren Pelzmantel übergeworfen, in den Garten. In der Hand hielt sie ein Lehrbuch zur Geschichte des Mittelalters, sie mußte sich auf das Wintersemester vorbereiten.
Besondere Anstrengungen wurden übrigens nicht von ihr verlangt. Selbst wenn sie bei den Prüfungen den Mund gar nicht aufmachte, gab man ihr befriedigende Noten, die Dozenten waren bereit, ihr selber die Referate zu schreiben. Es genügte, daß sie hin und wieder im Hörsaal erschien. Malzew bezahlte eine Menge Geld für ihr Studium, außerdem war er der Leitung der Universität behilflich, Kontakte zu Sponsoren zu knüpfen, und trat bei der Stadtverwaltung und im Kulturministerium energisch für die Interessen der Kunstakademie ein.
Es war ein klarer, windiger Tag. Die blaue Wasseroberfläche des Swimmingpools kräuselte sich leicht. Warja starrte unverwandt auf das Wasser. Je länger sie schaute, desto kälter wurden ihre Arme. Die Kälte durchdrang und zerfraß sie wieein Schwarm unsichtbarer hungriger Piranhas. Sie hätte aufstehen und ins Haus gehen müssen, aber sie saß, die Arme um die Schultern gelegt, starr auf der Bank, wie eine Tote.
All die furchtbaren Erinnerungen wirken auf mich wie ein Betäubungsmittel, dachte sie. Ich kann nicht vergessen, wie du mich gerettet hast, dein eigenes Leben dabei aufs Spiel gesetzt hast. Vermutlich war das die einzige menschliche Tat in deinem ganzen zweiunddreißigjährigen Gaunerleben.
An einem kalten Märzabend des Jahres 1995 hielt ein Streifenwagen der Miliz am Kai der Moskwa, weil Hauptmann Sokolow zu viel Coca-Cola getrunken hatte. Er sprang aus dem Wagen und lief die Treppe hinunter, die zum Wasser führte. Man weiß ja, wie wenig öffentliche Toiletten es in Moskau gibt.
Drei Minuten später kam ein dringender Funkruf, in einer Nachbarstraße sei ein Juwelierladen ausgeraubt worden. Der blutjunge
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