Russische Orchidee
Tablett mit Tee und setzte es auf dem Couchtisch ab. Alle Tassen in Malzews Haus waren aus altem Porzellan und sehr wertvoll. In der ersten Zeit hatte Warja immer große Angst gehabt, eins dieser Prachtstücke aus dem vorigen Jahrhundert zu zerschlagen, aber dann gewöhnte sie sich daran und merkte, daß der Tee und der Kaffee aus Kusnezow-Porzellan viel besser schmeckten.
»Ach, ich muß ja noch die Bilder abwischen, das habe ich ganz vergessen.« Die Frau griff sich an den Kopf. »Wissen Sie, jedesmal bin ich erstaunt, wie ähnlich Ihnen das Mädchen auf dem Porträt sieht, als hätte man sie nach Ihnen gemalt. Haben Sie sich mal erkundigt, ob das eine Verwandte von Ihnen ist?«
»Nein. Das ist keine Verwandte.«
»Aha, nun gut. So, ich glaube, jetzt ist alles sauber. Ein sehr gutes Putzmittel, überhaupt sind die ausländischen viel besser als unsere, kein Vergleich.«
Warjas Temperatur war normal, und der starke süße Tee verscheuchte die Kopfschmerzen. Die Hausangestellte verschwand in der Küche, und sofort wurde es erstaunlich still. Warja rutschte vom Sofa herunter und trat vor das Porträt.
Von der großen, mit einer einfachen Holzleiste gerahmten Leinwand schaute sie ein etwa siebzehnjähriges Mädchen an. Ihr Blick war ruhig und traurig, die riesige, blütenförmige Brosche wirkte auf ihrer schlichten weißen Bluse irgendwie unpassend. Solchen Schmuck trägt man zu eleganten Abendkleidern. Ja, sie sah Warja sehr ähnlich, diese jungeDame, die man im Jahr der Revolution auf die Leinwand gebannt hatte.
Der Stein, der in die Brosche eingesetzt war, lebte gleichsam ein eigenes Leben. Er glänzte und funkelte, er sog das Licht auf, und daher erschien einem das Bild trübe, obwohl im Hintergrund ein heller Himmel und leichte Sommerwölkchen zu sehen waren. Die junge Schöne wirkte bekümmert und ein wenig angespannt. Wahrscheinlich spürte sie, daß den Künstler die Brosche an ihrer Bluse viel mehr inspirierte als sie selber mit ihren blauen Augen und ihrem schlanken, biegsamen Hals.
Das Bild war vor einem Jahr im Haus aufgetaucht. Die Ähnlichkeit des Mädchens darauf mit ihr war so auffällig, daß Warja im ersten Augenblick erschrak. Aber dann machte das Erschrecken der Freude Platz. Vielleicht war das Porträt ja gerade wegen der Ähnlichkeit gekauft worden? Pawel Malzew hatte es in einem winzigen Heimatmuseum in dem Provinzstädtchen Lyssowo, nicht weit von Moskau, entdeckt.
Doch bald fand sie heraus, daß er das Bild aus einem völlig anderen Grund erstanden hatte. Pawel Malzew hatte die Ähnlichkeit gar nicht bemerkt, er schenkte Warja sowieso kaum Beachtung. Wenn er sie sah, pflegte er zu sagen: »Hallo, meine Schöne, wie geht’s?« – um dann sofort ihre Existenz zu vergessen.
Am kränkendsten war, daß auch Dmitri die Ähnlichkeit nicht sofort aufgefallen war. Die Brüder saßen im Arbeitszimmer, Warja sah im Nebenzimmer fern. Sie stellte den Ton leiser, um das Gespräch zu hören.
»Na weißt du, ein unbekannter Wrubel wird nicht gerade im Magazin eines Provinzmuseums vermodern!« sagte Pawel und lachte schallend. »Sieh mal, was hier für eine Jahreszahl steht. 1917. Und wann ist Wrubel gestorben? 1910.Aber das ist nicht die Hauptsache. Wenn du genauer hinschaust, kannst du sehen, wie grob der Pinselstrich ist.«
»Aber die Brosche mit dem ›Pawel‹ ist bis ins Detail genau dargestellt, alles an ihr funkelt und glitzert.«
»Fotografische Genauigkeit dieser Art beherrscht jeder Absolvent der Kunstakademie.«
»Na schön, und wer ist das Mädchen?«
»Zuerst müssen wir herausfinden, wer der Künstler ist. Aber ich glaube ohnehin, Dmitri, daß wir beide auf dem Holzweg sind. Wenn das Bild von irgendeinem bekannten Maler stammen würde, könnten wir auch etwas über das Mädchen erfahren. Aber es ist nicht signiert, es hat nur so ein Häkchen, und Datschen und Gutshöfe rund um Lyssowo gibt es mindestens hundert und Mädchen mit blauen Augen wahrscheinlich genauso viele. Nein, das ist eine Sackgasse. Alle Kataloge der Welt führen den Diamanten ›Pawel‹ als vermißt auf. Die Orchideenbrosche, in die er eingesetzt worden ist, hat niemand gesehen oder in Händen gehalten.«
»Wie bitte? Und der Juwelier Le Villon? In allen Katalogen findet man eine detaillierte Beschreibung, Skizzen, Zeichnungen und Fotografien, die von der fertigen Brosche gemacht wurden. Hier, sieh doch.«
»Das habe ich schon hundertmal gesehen, Dmitri. Nur weil mir zufällig das Porträt irgendeines
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