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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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bevor sie auf der letzten Seite unterschrieb. Borodin erinnerte sie nicht daran, daß sie beim ersten Verhör auf dem Revier ausgesagt hatte, Anissimow habe ihrem Sohn im Juli letzten Jahres dreitausend Dollar geliehen.
     
    Der Anwalt Lew Syslin war ein junger, gutaussehender Mann. Bei seinem Anblick schöpfte Natascha neuen Mut. Sie stellte sich sofort vor, wie er mit seiner tiefen, samtenen Stimme das Hohe Gericht davon überzeugte, daß Sanja unschuldig war, und beruhigte sich. Dieser Mann würde es schaffen.
    »Kaffee? Tee?« bot Syslin liebenswürdig an, als Natascha sich in dem weichen Ledersessel seines kleinen, gemütlichen Büros niederließ.
    »Kaffee, bitte.«
    »Entschuldigen Sie die indiskrete Frage, aber wie alt sind Sie?« fragte er mit freundlich-herablassendem Lächeln.
    Natascha wußte, daß sie jünger aussah als zwanzig, besonders wenn sie nicht geschminkt war. Man hielt sie oft noch für minderjährig.
    »Ich bin zwanzig.«
    »Ah, dann ist ja alles in Ordnung. Ehrlich gesagt, zuerst habe ich gedacht, sie wären nicht älter als sechzehn. Nun, Natalja Wladimirowna, was haben Sie auf dem Herzen?«
    Das sorgfältig gestutzte hellblonde Bärtchen gab seinem Aussehen etwas Professorales. Die blauen Augen und das offene, strahlende Lächeln wirkten ermutigend. Eine blutjunge Sekretärin im Minirock brachte ein Tablett, auf dem zwei Tassen mit dünnem Pulverkaffee standen.
    »Mein Mann ist in eine Falle gelockt worden«, begann Natascha, sobald die Sekretärin hinausgegangen war, »er ist völlig unschuldig.«
    »Einen Augenblick bitte«, Syslin schüttelte den Kopf und hob die Hand, »alles der Reihe nach. Am Telefon haben Sie gesagt, daß Ihr Mann Alexander Anissimow verhaftet worden sei und jetzt im Untersuchungsgefängnis sitze.«
    »Ja, genauso ist es. Man beschuldigt ihn, einen Mord begangen zu haben, aber er war es nicht.«
    »Erstens ist Ihr Mann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verhaftet, sondern nur vorläufig festgenommen. Zweitens beschuldigt man ihn nicht, sondern verdächtigt ihn nur. Haben Sie schon mit dem Untersuchungsführer gesprochen?«
    »Noch nicht. Alles ist erst heute nacht passiert. Ich weiß, daß man mich sehr bald, vielleicht noch heute, vorladen wird, und davon, was ich dem Untersuchungsführer sage, wird sehr viel abhängen, deshalb wollte ich zuerst mit Ihnen reden, um mich auf das Verhör vorzubereiten und nichts Falsches zu sagen.«
    »Vernünftig.« Syslin nickte. »Und warum sind Sie so sicher, daß man Ihren Mann in eine Falle gelockt hat?«
    »Mein Mann könnte niemanden umbringen. Er ist einfach nicht fähig dazu. Ich weiß, das ist für Sie kein Argument, das sagen wahrscheinlich alle.«
    »Nein, warum? Längst nicht alle sagen das. Ganz im Gegenteil, es gibt Ehefrauen, die mit allen Mitteln versuchen, ihre Angetrauten hinter Gitter zu bringen.«
    »Ja, natürlich, aber bei uns ist das ganz anders.« Natascha reckte stolz das Kinn hoch. »Ich werde alles tun, um meinen Mann wieder freizubekommen. Alle Indizien sprechen gegen ihn, viel zu viele Indizien, und das beweist klar und eindeutig, daß er nur vorgeschoben wurde. Man hat es absichtlich so eingerichtet, daß es keine anderen Verdächtigen gibt. Wenn er wirklich der Mörder wäre, hätte er sich wohl kaum neben der Leiche und der Pistole im Treppenhaus schlafen gelegt.«
    »Wie, hat er sich zum Schlafen wirklich neben die Leiche gelegt?« Syslin verzog das Gesicht zu einem schwachen Lächeln. »War er betrunken?«
    »Aber nein! Er trinkt nie. Das heißt, manchmal natürlich schon, wie jeder normale Mensch, aber nie so viel, daß er betrunken ist. Verstehen Sie, man hat ihm irgendwas in den Wodka oder in den Kognak geschüttet, oder was immer man ihm in diesem verfluchten Restaurant zu trinken gegeben hat! Und damit hat man ihn eingeschläfert. Als er wieder aufgewacht ist, konnte er sich an nichts mehr erinnern. Es gibt doch solche Präparate, die zu Gedächtnisverlust führen?«
    »Zweifellos. Und was war weiter?«
    »Weiter?« Natascha seufzte tief auf. »Vermutlich hat man ihn dann, als er fest schlief, in ein Auto gepackt, zum Tatort gefahren und dort mit seiner Pistole geschossen.«
    »Woher hatte er die Waffe?«
    »Das war ein Gelegenheitskauf.« Natascha errötete. »Eine kindische Idee, er kam sich damit wichtig vor.«
    »Welche Marke?«
    »Eine Walter. Aber er hat sie nur ganz selten mitgenommen, nur in der ersten Zeit hat er sie manchmal mit sich herumgeschleppt, um damit vor seinen Freunden

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