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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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aus, glauben Sie meiner langjährigen Erfahrung.«
    Der gepolsterte Sessel der Gästebar ächzte und wackelte wie ein schwächlicher dreibeiniger Hocker, als sich der norwegische Hundert-Kilo-Koloß Hans Hansen auf ihm niederließ. Hansen, ein Mann von fünfundsechzig, rauchte eine Pfeife aus Ebenholz und trug seine Fliege nicht nur zum offiziellen Jackett, sondern auch zum grobgestrickten Pullover. »Ich grüße Sie, meine Damen. Carrie, Frau Beljajewa ist völlig erschöpft von ihren feministischen Diskursen. Gönnen Sie ihr eine Verschnaufpause. Schließlich sind wir nicht im Konferenzsaal, und es ist jetzt schon elf Uhr abends.«
    »Ist es wirklich schon elf?« Lisa schreckte hoch, warf einen Blick auf ihre Uhr und erhob sich abrupt. »Entschuldigen Sie, Carrie, Sie haben ein äußerst interessantes und wichtiges Problem angesprochen. Es wäre schade, wenn wir jetzt, wo ich so müde bin, darüber diskutierten.« Sieerrötete, als ihr einfiel, daß sie vor ein paar Minuten schon etwas Ähnliches gesagt hatte. Egal. Hauptsache, sie konnte jetzt möglichst schnell verschwinden, in ihr Zimmer schlüpfen, die Tür abschließen und mußte niemanden mehr sehen.
    »Gute Nacht, Carrie, gute Nacht, Hans.«
    Die Amerikanerin nickte hoheitsvoll. Der Norweger zwinkerte ihr zu und raunte ihr vertraulich ins Ohr: »Schlafen Sie süß, Lisa. Obwohl Verliebte ja gewöhnlich unter Schlaflosigkeit leiden.«
    In dem leeren Fahrstuhl preßte Lisa ihre Stirn an das kalte Glas des Spiegels. Der Lift glitt lautlos nach oben. Die Tür öffnete sich, Lisa wollte hinausgehen, aber da stieß sie mit Krassawtschenko zusammen.
    »Moment, das ist doch gar nicht Ihre Etage«, sagte er mit einem strahlenden Lächeln. »Guten Abend, Jelisaweta Pawlowna.«
    Er drückte auf den Knopf, und die Tür schloß sich wieder. Für ein paar Augenblicke waren sie allein in dem geschlossenen Raum, und ihr wurde unheimlich zumute. Wie dumm, vor diesem schmierigen Kater Angst zu haben, dachte sie. Er stand ganz dicht neben ihr, hauchte ihr seinen Pfefferminzkaugummi-Atem ins Gesicht, verschlang sie mit seinen Blicken und wäre wohl noch aktiver geworden, aber da hielt der Fahrstuhl an.
    Krassawtschenko ließ ihr den Vortritt.
    »Sind Sie sehr müde, Jelisaweta Pawlowna?«
    »Ehrlich gesagt, ja.«
    »Lassen Sie uns doch noch einen Kognak in der Bar im fünften Stock trinken. Es war ein langer, hektischer Tag, und nach einem Kognak kann man gut schlafen.«
    »Ich trinke keinen Alkohol, Anatoli Grigorjewitsch, und ich schlafe auch so ausgezeichnet«, sagte Lisa, zog die bereitszum Abschied ausgestreckte Hand zurück und rannte eiligst den Korridor hinunter. Aus ihrem Zimmer war das laute Schrillen des Telefons zu hören, die kurzen, nervösen Klingeltöne eines Ferngesprächs. »Entschuldigen Sie«, wandte sie sich noch einmal um, als sie die Tür öffnete, »gute Nacht.«
    Sobald Krassawtschenko allein im Korridor war, sah er sich nach allen Seiten um und drückte dann sein Ohr an den Türspalt.
    »Ja, ich habe auch schreckliche Sehnsucht … Nein, alles in Ordnung … Sofort wird es nicht möglich sein, frühestens in zwei Tagen.«
    Krassawtschenko wollte schon wieder gehen, kein unnötiges Risiko eingehen. Offenbar war das ihr Mann. Nichts Interessantes.
    »Ich weiß noch nicht, aber auf jeden Fall werde ich zunächst ein paar Abende mit der Familie verbringen müssen. Überhaupt ist das alles viel schwieriger und komplizierter, als ich erst dachte … Hör auf. Wenn ich komme, reden wir darüber … Ich denke auch die ganze Zeit an dich, ich kann nicht anders … Weil das alles nichts bringt. Weder dir noch mir … Nein, auf keinen Fall. Es reichte schon, daß du zum Abschied auf den Flughafen gekommen und wie ein Schatten dort umhergeschlichen bist. Die ganze Zeit dachte ich, er hätte dich gesehen. Wenn du wieder dort auftauchst, kriegt er das bestimmt mit. Willst du denn, daß mir seine Gefühle völlig gleichgültig sind? … Gut, das ist kein Thema, das ich mit dir erörtern sollte … Ich verstehe … Verzeih, mir geht’s nicht gut ohne dich. Ja … Nein … Ich liebe dich auch sehr, Juri …«
    Oho! Krassawtschenko pfiff leise durch die Zähne. Da haben wir sie, die treue Ehefrau, die vorbildliche Mutter. Jetzt ist alles klar. Der Glanz in den Augen, das jugendliche Feuer. Ihr Mann heißt Michail. Wer ist dann wohl dieser Juri?
     
    In Borodins kleinem Büro waren die Fensterscheiben beschlagen. Der Wasserkocher brodelte. Borodin kochte Tee, Hauptmann

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